Rechtliche Ansätze

Revisionsrechtliche Ansätze + Korrespondenz

 

 

21.04.1998

Sehr geehrter Herr W.

Das Wichtigste zuerst: Wir sind inzwischen davon überzeugt, daß die Chancen der Revision ausgesprochen gut stehen. Schon lange hat uns ein Aktenbestand nicht mehr soviel Mühe und Kopfzerbrechen bereitet wie dieser.

Die Urteilsgründe lesen sich gut; sie sind von erfahrenen Richtern erkennbar auf "Revisionssicherheit" getrimmt worden. Annähernd alle verfahrensrechtlichen Revisionsangriffe haben sich als nicht durchführbar erwiesen. Erst im Laufe des Sonntags hat sich herauskristallisiert, daß sich zwei formal zulässige Aufklärungsrügen erheben lassen, die auch noch den Kernbereich der Beweiswürdigung treffen. Ob diese Rügen letztlich Erfolg haben werden, interessiert uns im Augenblick nicht in erster Linie. Wichtig ist ein verfahrensrechtlicher Nebeneffekt, der in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. Denn das Hauptgewicht der Revision wird im Bereich der Sachrüge liegen (dort stehen wir jetzt nicht mehr unter Zeitdruck). Ist nur die Sachrüge erhoben, darf das Revisionsgericht aber nicht in die Akten hineinschauen. Bei allen Verfahrensrügen darf es in genau dem Umfang die Akten zur Kenntnis nehmen, der in der Revisionsbegründungsschrift vorgetragen ist. Eine zulässige Aufklärungsrüge öffnet dem Revisionsgericht aber den Blick in die gesamten Akten, so daß es im Rahmen der Sachrüge erlaubt sein wird, zur Illustration und Untermauerung auf einzelne Aktenteile zurückzugreifen.

Ich habe ein kleines Gutachten über den Gang der bisherigen Arbeit angefertigt, das ebenfalls in Kopie beiliegt. Es unterrichtet Sie vorallem darüber, warum die am Ostermontag besprochenen Umstände nicht weiterführen konnten.

Der weitere Gang des Verfahrens wird nun der sein, daß die Akten vom Landgericht Karlsruhe über die Staatsanwaltschaft dem Generalbundesanwalt vorgelegt werden. Erst von dort werden wir wieder von der Sache hören. In der Zwischenzeit wird der Schriftsatz mit den weiteren Ausführungen zur Sachrüge erarbeitet werden können.

Insgesamt kann man sagen, daß wir - nach anfänglicher Skepsis - überraschend gut vorankommen. Die Akten werfen eine Fülle von Fragen auf, denen das Landgericht nicht nachgegangen ist. Auch im Rückblick ist mir völlig rätselhaft, wie sich das Landgericht über alle Zweifel hinwegsetzen konnte. Da ich die an der Hauptverhandlung beteiligten Richter als gute und integere Leute kenne, glaube ich nicht an eine böse Absicht. Die grausame Wahrheit wird sein, daß das in der Hauptverhandlung gezeigte Videoband einen psychologischen Zwang nach Vergeltung ausgelöst hat, von dem sich das Gericht nicht hat frei machen können.

Auch wenn man auf der Ebene des Revisionsverfahrens niemals den Erfolg garantieren kann und darf: Wir sind sehr zuversichtlich, daß das Fehlurteil des Landgerichts keinen Bestand haben wird.

Mit freundlichen Grüßen

 

HARRY WÖRZ: REVISIONSRECHTLICHE ANSÄTZE

Zur Erläuterung für Herrn Harry Wörz (mit der Familie und den Freunden habe ich bereits darüber gesprochen): Die Revision ist ein eigenartiges Rechtsmittel, mit dem das landgerichtliche Urteil auf "juristische Mängel" untersucht wird. Man sollte denken, ein Urteil könne rechtlich nicht falscher sein als überhaupt falsch (eben unrecht), aber so ist das nicht gemeint. Vielmehr gilt folgendes: Das Revisionsgericht muß - wie der Revisionsanwalt - von den sogenannten Feststellungen des angefochtenen Urteils ausgehen. Das ist der Sachverhalt, den das Landgericht für erwiesen gehalten hat, hier also die Abschnitte I und II der schriftlichen Urteilsgründe. Gegen sie läßt sich nicht einwenden, eine bestimmte Beweiserhebung habe etwas anderes ergeben oder sei vom Gericht falsch verstanden worden. Denn alle Umstände, die mit der Bewertung von Tatsachen zusammenhängen, sind nach der Kompetenzverteilung der Strafprozeßordnung dem "Tatrichter" (=dem Landgericht) zugewiesen. Die vom Landgericht gezogenen Schlußfolgerungen "sind von ihm zu verantworten", wenn sie nur möglich sind.

Die Feststellung des angefochtenen Urteils sind für das Revisionsgericht also verbindlich. Die Verbindlichkeit können sie nur dann verlieren, wenn sie auf einem Verfahrensfehler beruhen. Solche Verfahrensfehler sind mit der fristgebundenen Verfahrensrüge aufzudecken. Im Gegensatz zur Verfahrensrüge steht die Sachrüge. Mit ihr kann beanstandet werden, daß das Gesetz auf den festgestellten Sachverhalt falsch angewandt worden sei (ähnlich einer juristischen Übungsaufgabe für Studenten); in Grenzfällen läßt sich aber auch die Beweiswürdigung selbst angreifen. Denn die Freiheit der Tatrichter, bei der Beweiswürdigung nicht an Regeln gebunden zu sein, findet ihre Grenzen dort, wo die "an sich möglichen Schlußfolgerungen" willkürlich erscheinen.

I. VERFAHRENSRECHTLICHES

1. Gesichtspunkte, die ausgeschieden werden mußten

a) Beim Studium der Akten drängt sich unmittelbar der Eindruck auf, daß die Pforzheimer Polizeibeamten mit großem Einsatz und großem Fleiß darangegangen sind, den Fall nicht ungelöst zu lassen. Das ist schon deshalb besonders beängstigend, weil die Beamten in doppelten Sinn in eigener Sache ermitteln mußten: Nicht nur das Opfer und sein Vater waren Kollegen, sondern auch ein Verdächtiger. Daß der Kollege schon auf den zweiten Blick als Verdächtiger wieder ausgeschieden ist, war vermutlich für die ermittelnden Beamten eine große Erleichterung und hat wahrscheinlich fast automatisch den Blick verengt.

Die Strafprozeßordnung enthält aber keinerlei Befangenheitsvorschriften für Polizeibeamte. Ein Verfahrenshindernis kann aus einer solchen - untechnischen - Befangenheit nicht entstehen; allenfalls beim Nachweis einzelner Manipulationen hätte es in der Hauptverhandlung gelingen können, ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich dieser Umstände durchzusetzen. Manches in den Akten paßt nicht recht zusammen; ein überzeugender Beweis für Manipulation findet sich aber nirgends.

b) Die Zugriffszeiten sind mehr als erstaunlich. Es bleibt unklar und geheimnisvoll, warum das Auto bei Herrn Wörz übersehen worden sein soll, warum vor seinem Haus so lange gewartet worden ist und warum die vorläufige Festnahme von Herrn Thomas H. so spät durchgeführt worden ist. Auch ist die Begründung dafür dürftig, warum bei ihm nicht geprüft wurde, ob der Motor noch warm war (man habe Angst gehabt, die automatische Hofbeleuchtung könne angehen).

Mehrere der beteiligten Beamten sind in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommen worden. Wir können deshalb in der Revision nicht beweisen, daß diese Dinge nicht zur Sprache gekommen sind. Daß das Urteil zu ihnen schweigt, ist kein Rechtsfehler, weil sich die Fragen in der Hauptverhandlung geklärt haben können und das Gericht nicht verpflichtet ist, alles in das Urteil hineinzuschreiben (sondern nur die von ihm für wesentlich erachteten Tatsachen).

c) Die Spurenlage ist - jedenfalls nach dem Akteninhalt - erstaunlich; sie kann aber das schriftliche Urteil nicht erschüttern.

aa) Der Abdruck des Mittelfingers von Herrn Wolfgang Z. auf der asservierten Zigarettenschachtel ist vom Landgericht berücksichtigt worden. Es hat hierzu den Sachverständigen Görner gehört und das Beweisergebnis "weggewürdigt" - der Abdruck müsse erst später auf die Schachtel gekommen sein. Dies ist eine revisionsrechtlich typischerweise unangreifbaren Schlüsse; wir müssen damit leben.

bb) Gelegentlich fällt mehr auf, daß bestimmte Spuren nicht vorhanden sind, als daß andere Spuren gesichert wurden. Daß auf den Zigarettenschachteln und der Plastiktüte sonst gar nichts gewesen sein soll, verwundert schon sehr. Auch der Tatortbefund selbst erscheint nicht ganz plausibel, denn es fehlen ja auch alle Spuren, die "legal gelegt" worden sein müssen. Dies könnte seine Erklärung aber darin finden, daß eben die legalen Spuren gleich wieder als bedeutungslos aus dem Ermittlungskonzept herausgefallen sind. Selbst wenn es sich anders verhielt, wäre die Revision schon deshalb ausgebremst, weil das Gericht über den Spurenbefund Beweis erhoben hat. Daß hier vielleicht nicht alle Fragen gestellt oder nicht alle Antworten im Urteil wiedergegeben sind, ist wieder revisionsrechtlich unangreifbar.

cc) Wir hätten gerne etwas daraus gemacht, daß (wie ich gehört habe) die abgerissenen Fingerteile der Vinylhandschuhe zu unterschiedlichen Fingern unterschiedlicher Handschuhe verschiedener Größe gehören; dies soll sich in der Hauptverhandlung ergeben haben. In den Akten findet sich dazu aber kein Anhaltspunkt, so daß man auch hier nicht weiterkommen konnte. Daß wir im Urteil davon nichts mehr lesen können, ist häßlich und unfair, aber nicht Revision.

dd) Die Information über Keramiksplitter an den Sohlen der Schuhe von Herrn Thomas H. (die er dann plausibel erklärt habe) trifft nicht zu. Vielmehr hat es sich so verhalten, daß Herr Thomas H. theoretisch diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen hat. Die Untersuchung der Schuhe hat aber gerade keinen Spurenbefund ergeben.

Der Umstand, daß bei Herrn Thomas H. nur wenige Kleidungsstücke asserviert worden sind, führt auch nicht weiter. Dies ergibt sich zwar aus den Akten, aber ein beweiserheblicher Umstand könnte daraus erst entstehen, wenn eine laxe, tendenziöse oder gar manipulative Ermittlungsarbeit in den schriftlichen Gründen auch thematisiert wäre. Dies ist aber nicht der Fall.

ee) Im Urin von Andrea W. hat sich ein auffallend hoher Anteil von Benzodiazepinderivaten gefunden. Benzodiazepine sind Beruhigungsmittel, von denen man nicht erwarten würde, daß der Notarzt sie einem Notfallpatienten verabreicht. Vielmehr weckt dieser Befund zunächst den Verdacht, Andrea W. habe doch irgend etwas mit Betäubungsmitteln zu tun (Tavor, Lexotanil, Rohypnol und Musaril werden häufig mißbraucht).

Dann hat sich aber herausgestellt, daß in der Mülltonne eine leere (kleine) Ampulle Dormicum gefunden worden ist. Daran hat sich die Vermutung angeknüpft, daß der Notarzt oder einer seiner Hilfskräfte eine geringe Menge Dormicum verabreicht hat, damit es nicht zu Abwehrreflexen gegen die Intubation kommt (der Urinwert würde dazu von der Größenordnung her auch passen). Wir haben uns erkundigt: Obwohl es unwahrscheinlich erscheint, einem bewußtlosen Patienten auch noch ein Beruhigungsmittel zu verabreichen, wird genauso verfahren. Der Urinwert würde also keine Merkwürdigkeit beweisen, sondern nur, daß bei den Rettungsmaßnahmen nach dem Stand der ärztlichen Kunst vorgegangen worden ist.

ff) Dem Gerücht mit der Terminwohnung in Karlsruhe-Rüppur konnte ich noch nicht nachgehen. Darin liegt für das Revisionsverfahren kein Nachteil, denn daran müßten ja (weil es nicht um die Glaubwürdigkeit von Andrea W. geht) erst noch weitere Überlegungen anknüpfen, bis man an das Beweisgefüge des Urteils herankommt.

d) Ein erfolgreicher Revisionsangriff gegen die Wiedergabe des DNS-Gutachtens im Urteil hätte sich nur dann führen lassen, wenn das bei den Akten befindliche schriftliche Gutachten in unüberbrückbarem Widerspruch gestanden hätte. Denn dann wäre das Gericht verpflichtet gewesen, nicht nur dem Gutachter den schriftlichen Text vorzuhalten, sondern auch im Urteil zu dokumentieren, daß dies geschehen ist.

Einen solchen krassen, unüberbrückbaren Widerspruch gibt es aber nicht. Die Akzente haben sich verlagert, aber die Grundtendenz bleibt. Denn das Landgericht übernimmt den wissenschaftlichen Befund insoweit, als Harry Wörz der Spurenverursacher "sein kann". Unterschiedliche Betonungen bei Gewicht und Bedeutung der einzelnen Analysen können sich in der Hauptverhandlung bei der Befragung des Sachverständigen ergeben haben. Weil für die Revision aber die Bekundungen der Sachverständigen in der Verhandlung von maßgeblicher Bedeutung sind (und nicht das schriftliche Gutachten, das nach der Bewertung der Strafprozeßordnung nur vorläufig ist), genügen die Abweichungen nicht für eine Revisionsrüge.

e) Auch im übrigen waren revisionsrechtliche Beanstandungen nicht zu erheben. Zwar weicht das Urteil von der zugelassenen Anklage (Mord/Totschlag) ab, doch ist diese Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts vom Landgericht beachtet worden. Es hat den hierzu erforderlichen förmlichen Hinweis nach § 265 Abs. 1 StOP gegeben. - Der Ausschluß der Öffentlichkeit (und ihre Wiederzulassung) für die Dauer der Videovorführung sind handwerklich in Ordnung und nicht zu beanstanden. - Andere Gelegenheiten, Verfahrensfehler zu begehen, hat die Strafkammer nicht gehabt. Insbesondere sind keine Beweisanträge gestellt worden, die das Landgericht mit rechtlich angreifbarer Begründung zurückgewiesen hätte. Soweit darüber gesprochen worden ist, daß in der Hauptverhandlung aus dem Freundeskreis von Harry Wörz fast niemand gehört worden ist,und daß das Verschwinden der Tagebücher im Urteil nicht erscheint, hätte es in beiden Fällen eines Beweisantrages bedurft. Beweisanträge sind aber nicht gestellt worden. In dieser Beobachtung liegt keine Kritik an Herrn Kollegen Schroth: im nachhinein ist man immer klüger; und auch ich hätte mich darauf verlassen, daß ein prozessuales Festzurren der Beweisergebnisse entbehrlich sei. Denn die beteiligten Berufsrichter genießen zu Recht den Ruf professioneller Integrität, so daß es keinen Grund gab, ein beweisantragsrechtliches Feuerwerk abzubrennen.

2. ERFOLGVERSPRECHENDE REVISIONSANSÄTZE

Sie ergeben sich aus der Revisionsbegründungsschrift selbst. Die Beweisführung des Landgerichts erfolgt im wesentlichen in zwei Schritten. Der erste Schritt ist die Feststellung eines männlichen Täters, der Vinylhandschuhe trug und die Tat zwischen 2.16 Uhr und 2.34 Uhr begangen hat (UA S. 16-32). Daran schließt sich als zweiter Schritt der vermeintliche Nachweis der Täterschaft von Harry Wörz an, dies in drei weiteren Schritten. Erstens könne die DNS-Spur in den Fingerlingen von ihm stammen, zweitens sei ihm die Plastiktüte zuzuordnen, und drittens handele es sich um eine Beziehungstat. Letzteres stützt sich wieder darauf, das es keine Einbruchspuren gegeben habe (geschenkt). Damit bleibt übrig, daß der Täter entweder einen Schlüssel gehabt oder Andrea W. ihm die Türe geöffnet hat.

Zum zweiten Schlüsselbesitzer - Herrn Thomas H. - kommen wir bei der Sachrüge. Aber die Annahme, es könne kein Fremder gewesen sein, läßt sich verfahrensrechtlich aufgreifen. Der Zeuge Rudolf K. ist, wie sich aus den Akten ergibt, nicht zuverlässig und die Annahme, daß Andrea W. mit unbekleidetem Unterkörper keinem Dritten geöffnet habe, erweist sich bei näherem Hinsehen als unzulässig. An diesen beiden Stellen sind die Karten auch rechtlich falsch - und zum Nachteil für Herrn Wörz - gemischt worden.

3. ZUR SACHRÜGE

Hier kann ich nur skizzieren. Sie wird zunächst daran anknüpfen, daß kein plausibles Motiv für Herrn Wörz festgestellt werden konnte. Zwar kann sich ein Gericht auch dann von der Täterschaft rechtsfehlerfrei überzeugen, wenn die Tat als solche völlig sinnlos erscheint; insoweit ist das "Motiv" in gewissem Sinn zweitrangig.

Trotzdem hat diese Situation besondere Auswirkung auf die rechtlichen Anforderungen an die Beweiswürdigung: nicht nur an alle Tatverdächtigen, sondern überhaupt an alle für die Tat in Betracht kommenden Personen ist der gleiche Prüfungsmaßstab anzulegen. Daran hat es die Strafkammer eindeutig fehlen lassen; dies werden wir im einzelnen darstellen müssen. Auch im übrigen erscheint die Beweiswürdigung bereits aus sich heraus rechtlich bedenklich: Das Landgericht begnügt sich mit Plausibilitätsüberlegungen, ohne sich mit "anderen naheliegenden Möglichkeiten" auseinanderzusetzen, wie dies von der Rechtsprechung gefordert wird. Hier kann man an mehreren Punkten ansetzen. So gibt es etwa keinen Grund für die Annahme, daß die DNS-Spuren an den Fingerlingen innen und außen zur gleichen Zeit gesetzt worden wären, und insbesondere ist die mögliche Täterschaft von Herrn Thomas H. nicht gut genug ausgeschlossen.

21.04.1998 Rosenthal

 

31.07.1998

Sehr geehrte Frau F.,

die Honorarfrage bereitet mir gewissen Schwierigkeiten. Seit unserem letzten Telefonat und vorallem in den letzten Tagen ist hier ganz konzentriert und annähernd ausschließlich an der Sache von Harry Wörz gearbeitet worden. Welche Mühe das bereitet hat, kann man am Schriftsatz gewiß sehen.

Im April hatte ich angekündigt, wegen des Geldes wieder auf Sie zuzukommen, wenn die Arbeit an der Sachrüge abgeschlossen ist. Dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Im nachhinein muß ich sagen, daß uns zwar ungefähr klar war, was an Arbeit auf uns zukommt; trotzdem habe ich es gewaltig unterschätzt. Von hierher müßte sich das Honorar auf ein Vielfaches dessen belaufen, was Sie bereits als Vorschuß bezahlt haben.

Das kann ich natürlich nicht machen. Wir haben uns dann eingehend beraten, wie weit wir Ihnen entgegenkommen können. Denn der Einsatz des Freundeskreises von Herrn Wörz soll ja auch nicht ausgebeutet werden. Aber ein Betrag von 18.000 DM, zu dem noch die Auslagen und die Mehrwertsteuer hinzukommen, läßt sich beim besten Willen nicht unterschreiten. Wir hoffen sehr, daß das bewerkstelligt werden kann.

Eine entsprechende abschließende Honorarnote ist angefügt. Ich bitte Sie, das Doppel an der dafür vorgesehenen Stelle zum Zeichen Ihres Einverständnisses zu unterschreiben und wieder hierher zurücksenden. Die Schriftform ist schon aus den Gründen erforderlich, die ich in meinem Brief vom 21.04. dargelegt habe: Das Honorar ist wesentlich höher als der Rahmen der gesetzlichen Gebühren.

Wenn es sogar möglich wäre, den noch offenen Restbetrag in naher Zukunft auszugleichen, wären wir - das versteht sich von selbst - außerordentlich dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

 

31.07.1998

Sehr geehrter Herr W.,

das Revisionsverfahren geht voran. Die Akten liegen inzwischen dem für die Entscheidung zuständigen 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vor (d.h., sie liegen ihm nur formal vor: körperlich habe ich sie im Augenblick wieder hier im Büro). Damit war der Zeitpunkt gekommen, den angekündigten weiteren Schriftsatz zur Sachrüge auszuarbeiten und vorzulegen.

Ich glaube, daß sich die Einwände gegen das Urteil auch für Sie verständlich lesen, so daß es zusätzlicher Erläuterungen nicht mehr bedarf. Schon lange hat uns ein Fall nicht mehr so mitgenommen und angestrengt; es ist entsetzlich, wie das Schwurgericht in dieser Verhandlung mit den Dingen umgegangen ist.

Bei der Arbeit am Schriftsatz hat sich gezeigt, wie nützlich es war, zunächst zwei Aufklärungsrügen zu erheben. Denn das Urteil alleine zeigt naturgemäß nicht auf, welche wesentlichen Beweisumstände unter den Tisch gefallen sind. Der Rückgriff auf den Inhalt der Akten war ganz unerläßlich, um Fleisch an unseren Vortrag zu bringen und dem Bundesgerichtshof zu vermitteln, was hier geschehen ist. Dies ist gelungen; von hierher sollten wir mit der Revision ohne weiteres Erfolg haben.

Ich kann aber nicht verschweigen, daß der Generalbundesanwalt die Vorlage der Akten mit dem Antrag verbunden hat, die Revision als unbegründet zu verwerfen. Das ist zunächst nicht weiter beunruhigend, denn selbstverständlich ist auch der Generalbundesanwalt eine Behörde, die staatsanwaltschaftlich denkt, und von der von vornherein nicht zu erwarten ist, daß sie auf der Seite des Angeklagten stehen wird. Aber die Revision bewegt sich auch im Abschnitt II des Schriftsatzes auf der Grenze des revisionsrechtlich Zulässigen. Die dort erhobenen Beanstandungen könnten theoretisch mit dem Argument zurückgewiesen werden, die Revision versuche, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eine eigene Beweiswürdigung mit anderem Ergebnis zu ersetzen; damit könne sie nicht gehört werden.

Gerade deshalb ist aber Abschnitt III angefügt. Er argumentiert allein aus dem Urteil heraus und bildet - obwohl er der kürzeste ist - den revisionsrechtlichen Kern. Um aber das schon angesprochene Gesamtbild zeichnen zu können, konnten wir auf den Teil II nicht verzichten.

Nach wie vor sind wir überzeugt, daß die Chancen gut stehen. Eine abschließende Beurteilung ist uns aber trotzdem nicht möglich. Gerade bei diesem Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist eine weitere Revision anhängig, in der es um eine ganz ähnliche Beweiswürdigung geht (mit übersehenen Zeitfenstern und dem Scheinargument, wer es denn sonst gewesen sein solle). In jener Sache hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Stuttgart schon einmal aufgehoben; in der neuen Hauptverhandlung hat das Landgericht Heilbronn wieder verurteilt. Die Beweislage ist dort aber auch noch dünner als in unserem Fall. Das Verfahren könnte also Einfluß auf die Entscheidung in unserer Sache nehmen: Wird dort das landgerichtliche Urteil verworfen, sinken auch unsere Chancen wieder. Wird das Urteil aber erneut aufgehoben, haben sich unsere Aussichten noch einmal erheblich verbessert. Andererseits ist aber nicht klar, in welcher Reihenfolge die beiden Sachen entschieden werden.

Denn auch in unserer Sache habe ich Anzeichen dafür, daß es noch geraume Zeit in Anspruch nehmen wird, bis der Bundesgerichtshof an die Bearbeitung herangeht.

Sobald ich Nachricht habe, setze ich mich gleich wieder mit Ihnen in Verbindung.

Mit freundlichen Grüßen

 

24.08.1998

Sehr geehrte Frau G.,

heute morgen habe ich auf meinem Schreibtisch den absolut enttäuschenden Beschluß des Bundesgerichtshofs vorgefunden, der schon am Freitag eingegangen ist: die Revision ist kurzerhand verworfen worden.

Alle Überlegungen, die ich darüber angestellt habe, daß es einen zweiten vergleichbaren Fall gibt, sind damit hinfällig und gegenstandslos. Der 1. Strafsenat hat das Schicksal der beiden Fälle nicht miteinander verknüpft. Wir werden nie erfahren, welche Beweggründe dafür ausschlaggebend gewesen sind, und wir werden auch nicht erfahren, welche Gedanken den Bundesgerichtshof zu seiner negativen Einstellung bewogen haben. Es liegt in der Natur dieser Verwerfungsbeschlüsse, daß sie keinerlei Begründung enthalten.

Manchmal spielt es eine gewisse Rolle, daß das angefochtene Urteil im Ergebnis (gewissermaßen "unter dem Strich") in Ordnung zu sein scheint; dergleichen kann man hier aber beim besten Willen keine Rolle gespielt haben. Nicht einmal Spekulationen lassen sich anstellen, warum es so gekommen ist.

Ich bin erschüttert und bestürzt. Zwar muß ihr Sohn jetzt nicht die gesamten elf Jahre im Gefängnis bleiben, sondern aller Voraussicht nach "nur" bis Ende August 2004, aber das ist kein Trost.

Mit Herrn Schroth habe ich schon gesprochen. Er meint, die einzige Hoffnung für die Zukunft bestünde in einem Wiederaufnahmeverfahren. Konkrete Anhaltspunkte, wann und wie sich ein solches Verfahren einleiten läßt, hat er aber auch nicht. Immerhin scheint festzustehen, daß es bei der Polizei in Pforzheim inzwischen erhebliche personelle Veränderungen gegeben hat, und es scheint auch so zu sein, daß Herr Schroth mit einiger Sicherheit aus Polizeikreisen einen Hinweis erhalten wird, wenn sich irgendwo ein Umstand ergibt, an den man anknüpfen könnte. Das gibt immerhin die Hoffnung, daß man sich nicht endgültig in etwas Unabänderliches fügen muß.

Es tut mir sehr leid, daß die Revision erfolglos geblieben ist. Zu viele Zweifelsfragen sind offen geblieben, die eine neue Verhandlung hätte beantworten können. Vor Ihnen und Ihrem Sohn liegt eine schwere Zeit. Ich wünsche Ihnen die Kraft und das Durchhaltevermögen, die Sie brauchen, um das alles durchzustehen.

Mit freundlichen Grüßen