Presse- und Bürgerinformationstag

Presse- und Bürgerinformationstag im Fall Harry Wörz
Samstag, den 11.11.2000

 

Letzte Änderung: Mittwoch, 15.11.2000


Am 11.11.2000, fand in Gräfenhausen im Gemeindehaus ein Informationstag in Sachen Harry statt. Der Sinn dieser Sache war, auf die Ermittlungsfehler der Polizei näher einzugehen, und zu erklären was gemacht wurde und was nicht. Ebenso wurde anhand von Aktenauszügen gezeigt, daß andere ein Motiv und die Gelegenheit gehabt hatten. Durch einen Wohnungsgrundriss des Tatortanwesens und durch eine Ortsskizze von Gräfenhausen, konnte die eine oder andere Aussage in Frage gestellt werden.

Der Gemeindesaal war für 100 Leute bestuhlt, letztendlich waren aber ca. 150 Besucher anwesend. Davon waren 5 Reporter. Unter anderem war ein Reporter von Welle Fidelitas da, dessen Beitrag am Montagabend, kurz vor 18.00 Uhr im Radio gesendet wurde.

Die Zeitungsberichte können im Anschluß von diesem Bericht nachgelesen werden.

Wir danken allen, die sich für Harrys Fall interessieren, und hoffen auch im Nachhinein alle offenen Fragen beantwortet zu haben.

 

Pforzheimer Zeitung: Mittwoch, den 8.11.2000

Harrys Freunde machen mobil

Es ist der Tag, der in Gräfenhausen unvergessen bleiben wird: der 29. April 1997. Es sind die Minuten, die das Leben mehrerer Menschen aus den Angeln heben, aus der Bahn werfen, Gräben aufreißen: Gegen 2.30 Uhr würgt aller Wahrscheinlichkeit ein Mann die damals 26 Jahre alte Andrea W. in ihrem Haus fast zu Tode. Nur ein Kind, der heute fünfeinhalbjährige Sohn Kai, ist Zeuge. Doch aus eigenem Erleben kann er zumindest gegenwärtig nichts Tatrelevantes sagen. Die Polizistin überlebt mit irreparablen Hirnschäden. Sie wird zeitlebends ein vor sich hin dämmernder Pflegefall bleiben.

Der das getan hat, war ihr (mittlerweile Ex-) Mann sagen Polizei, Staatsanwaltschaft, Andreas Eltern. Und schließlich auch die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Karlsruhe, die Harry Wörz, 34, im Januar 1998 wegen versuchten Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilt. Die Revision beim Bundesgerichtshof wird nicht zugelassen.

Der das getan hat, war ein anderer vielleicht der Geliebte Andreas, ein Kollege? Vielleicht der eigene Vater? Vielleicht ein Unbekannter? Das glauben Harrys Freunde, von denen es nicht wenige gibt in Gräfenhausen. Ebenso seine Anwälte aus einer der renommiertesten Kanzleien Karlsruhes. Und vielleicht wird dies noch eine ausschlaggebende Rolle spielen der Nestor der deutschen Gutachter, der emeritierte Kölner Professor Udo Undeutsch. Die 30-seitige Auswertung eines "Lügendetektor"-Tests, dem sich Wörz freiwillig unterzog, kommt zu dem Fazit: "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" könne "ausgeschlossen werden, dass Harry Wörz der Täter ist". Die Frage ist nur: Wird die 8. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe, die derzeit über eine im Raum stehende Schmerzensgeldklage von Andreas Eltern in der Größenordnung von 300 000 Mark zu urteilen hat, diese umstrittene Methode der Wahrheitsfindung prozessual würdigen?

Wird sie sich des weiteren vom wissenschaftlichen Gutachten eines der führenden Gen-Labors Europas dem der Universität Bonn beeindrucken lassen, das mit Spannung erwartet wird und eine DNA-Expertise zumindest relativieren soll, die letztlich zur Verurteilung von Harry W. führte? Und selbst, wenn das alles zur Zufriedenheit der Verteidigung erörtert und berücksichtigt wird könnte dieser Etappensieg, so sie ihn denn erringt, ausschlaggebend sein für die Neuaufnahme des Strafverfahrens? Dies, wenn dem so wäre, fiele dann laut internem Verteilungsplan des Oberlandesgerichts Karlsruhe einer Schwurgerichtskammer des Landgerichts Mannheim zu. Auch dann handelte es sich um einen reinen Indizienprozess, einen, in dem Spuren zum Teil (absichtlich oder nicht?) verwischt, zum Teil nicht nachgegangen worden seien, argumentieren die, die von einem tragischen Justizirrtum sprechen.

Ihr Einsatz für Harry Wörz der zurzeit in der Vollzugsanstalt Heimsheim einsitzt, ist bemerkenswert: Sie glauben nicht nur intuitiv an Harry, den Kumpel aus der Clique. Sie glauben auch, die Argumente, die zu seiner Verurteilung führten, rational widerlegen oder zumindest so in Frage stellen zu können, dass nur ein Freispruch die adäquate strafrechtliche Antwort auf das sein kann, was sich in jenen frühen Morgenstunden des 29. April 1997 erreignete. Ellenlang ist die Internet-Homepage www.harrywoerz.de die drei seiner Freunde mit Akribie zusammenstellten. Sie beschreiben "die wahre Geschichte", wie sie sich in ihren Augen abgespielt hat, werfen Fragen auf, beantworten sie. Sie legen Fakten dar (unter anderem den Urteilsspruch des Schwurgerichts), stellen Theorien auf.

Vieles davon werden sie in einer eigens anberaumten öffentlichen Versammlung im Gräfenhausener Gemeindehaus, Karl-Kircher-Straße 23, am Samstag, 11. November, von 15 Uhr an verlesen, diskutieren. Auch in dieser Hinsicht sprengt der Fall bekannte Dimensionen. Olaf Lorch

 

---------------

 

Pforzheimer Zeitung: Montag, den 13.11.2000

Wortreiche Klage gegen "Justizirrtum"

Hätte, wäre, wenn. Hätte die Polizei nicht schlampig ermittelt, die Justiz Zweifel entsprechend gewürdigt und einen Unschuldigen nicht für elf Jahre hinter Gitter geschickt, säßen sie nicht hier. Sagen die, die sich an diesem sonnigen Samstagnachmittag vor dem Gräfenhausener Gemeindezentrum die Füße in den Bauch stehen, einen letzten Zug aus der Zigarette nehmen und langsam in den Gottesdienstraum tröpfeln, der bald übervoll sein wird.

Wäre das Opfer nicht Polizistin gewesen, sondern eine normale lebenslustige Mutter, ohne einen Polizisten als Geliebten und einen Polizisten als Vater - wäre dann das Urteil des Landgerichts Karlsruhe anders ausgefallen als jenes wegen versuchten Totschlags, begangen - so die Kammer - durch den Arbeiter Harry Wörz?

Die weit über hundert Menschen, viele davon aus Harrys Motorradclique, hätten den Tag genießen können. Statt dessen zermarterten sie sich das Hirn, wie sie das schon tun, seit Harry unter dem Verdacht festgenommen wurde, seine von ihm getrennt lebende Frau angeblich fast zu Tode stranguliert zu haben. Sie hätten ihr Geld anderweitig ausgeben können, statt die Zehn- oder Zwanzig-Mark-Scheine in ein Sparschwein zu stecken, das unübersehbar auf dem Tisch neben dem Ausgang steht - direkt neben der 160 Seiten starken ausgedruckten Internet-Homepage (über 2000 Zugriffe bislang) und der Visitenkarte eines Mannes, der seit April 1997 in Untersuchungs- und Strafhaft sitzt: "Harry Wörz - für elf Jahre unschuldig ins Gefängnis".

Hohe Anwaltskosten

33 000 Mark sind durch Sammelaktionen, Benefizveranstaltungen und Privatspenden zusammengekommen. "Wir hätten es gern Andrea und ihrem gemeinsamen Sohn Kai zukommen lassen", sagen die, die mit beiden befreundet waren. Doch so geht alles für Anwaltskosten drauf: Strafverteidiger, Zivilanwalt, eine Anwältin im Sorgerechtsverfahren, eine erfolglose Revisionsschrift.

Was, wenn das, was die Freunde Harrys angefertigt haben - Vorgeschichte, Tathergang aus ihrer Sicht, Versäumnisse, Widersprüche, Strafverhandlung, Zivilverfahren, Gutachten, Sammelaktionen, Reaktionen auf der Homepage -, kein "niederträchtiges Machwerk" ist, wie dies der Anwalt der Gegenseite postuliert? Keine "hemmungslose Bereitschaft zur Lüge", keine "massiven Manipulationsversuche"?

Ist es Verdrehung von Tatsachen, wenn Harrys Freunde behaupten, ihr Anblick in der Klinik, in der Andrea zumindest zeitweise liegt, bereite der jungen Frau Freude - die Konfrontation mit einem anderen Besucher versetze sie hingegen "in große Aufregung"? Man hütet sich auf der Homepage und an diesem Nachmittag, konkret mutmaßliche Alternativ-Täter zu benennen. Doch es wird klar, wen Harrys Freunde meinen könnten: Thomas H., den Kollegen des Opfers, der hin- und hergerissen gewesen sei zwischen Frau und Geliebter. Dem laut anwaltschaftlichem Schreiben von seiner Frau sinnbildlich die Pistole auf die Brust gesetzt wurde, die mit Unterhaltsforderungen gedroht und ihm doch so hörig gewesen sein soll, daß sie ihm ein Alibi geliefert haben könnte.

Oder Wolfgang Z., Vater Andreas, der Harry angeblich noch nie leiden konnte und in Birkenfeld im gleichen Haus wie Andrea und ihr mittlerweile fünfeinhalb Jahre alter Sohn Kai wohnte. Ein Nachbar wird zitiert mit der Erinnerung an einen Mann, der im Tat-Haus geschrien haben soll: "Ich bring Dich um, ich schlag' Dich tot - des kannsch mit mir net mache". Kein Aufheulen eines Motors in jener Nacht - obwohl Harry Wörz als auch Thomas H. in anderen Ortschaften lebten und hätten weggefahren sein müssen. Oder ein Unbekannter. Warum wurde einen Zettel mit einer Karlsruher Telefonnummer nicht näher nachgegangen? Warum wurde eine Zigarettenschachtel mit Amphetaminbriefchen am Tatort "zweifelsfrei" Harry zugewiesen, ob wohl Andrea selbst hin und wieder Drogen konsumiert haben soll?

Untergetauchter Detektiv

Ist es Verfolgungswahn, wenn die Initiatoren der Pro-Harry-Kampagne von zeitweiligen Abhöraktionen der Polizei sprechen, von einem plötzlich untergetauchten Privatdetektiv, der Licht in die Sache bringen sollte? Eine Wahrsagerin, die Harrys Täterschaft ausschloß, und von der man nie wieder etwas hörte? Einer Polizistin, die in einem Vier-Augen-Gespräch mit einem Freund Harrys indirekt einen Kollegen der Tat beschuldigt haben soll - diese angebliche Verdachtsäußerung vor Gericht jedoch bestritt?

Es sind tatsächliche oder vermeintliche Ungereimtheiten, mit denen Guido Kröger - Harrys bester Freund -, Mirka Wedel und Tanja Zipse in diesen fast drei Stunden die Zuhörer füttern. Sie wollen Wörz' "Unschuld untermauern" - auch "im Interesse von Andrea", die von diesem Kampf nie etwas mitbekommen wird, und "im Interesse von Kai". Dessen Erinnerung wird vermutlich für immer verschüttet bleiben oder zumindest juristisch nicht verwertet sein.

Wiederaufnahme?

Sie klammern sich an den 27. November, an dem im Zivilverfahren vor dem Landgericht Karlsruhe - es geht um 300 000 Mark Schmerzensgeld - ein neues Gengutachten vorgelegt werden soll, das eine im Schwurgerichtsverfahren maßgebliche DNA-Expertise in den Grundfesten erschüttern soll. Und sie hoffen, daß ein von Harry freiwillig abgelegter Lügendetektor-Test, der zu einer Nicht-Schuldig-Schlussfolgerung kommt, Einzug hält in die Entscheidungsfindung der Zivilkammer. Schließlich bauen sie auf die - äußerst seltene - Möglichkeit einer Wiederaufnahme, diesmal vor der Strafkammer eines anderen Landgerichts. Kröger: "Wir hoffen auf ein gutes Ende - am besten mit einem Riesenknall"OlafLorch

 

---------------

 

Pforzheimer Kurier: Montag, den 13.11.2000

Presse- und Informationstag mit über 100 Interessenten

Viele Freunde stehen hinter Harry Wörz

Er soll seine Frau schwer gewürgt haben /160 Seiten starke Homepage vorgestellt

Birkenfeld-Gräfenhausen (vie). Einen überwältigenden Freundschaftsbeweis erhielt am Samstag wieder einmal Harry Wörz, der in der Nacht zum 29. April 1997 seine Ehefrau Andrea dermaßen gewürgt haben soll, daß sie für den Rest ihres Lebens ein Pflegefall bleiben wird, unfähig, sich in irgendeiner Weise zu artikulieren. Wörz wurde im Januar 1998 zu elf Jahren Haft verurteilt. Er hat die Tat stets bestritten. Für seine Freunde ist Harry ein Opfer der Justiz. Vor allem der Polizei. Denn seine Frau, von der er inzwischen geschieden ist, war Polizistin, ihr Vater ist Polizist (seit der Tat ist er arbeitsunfähig) und ihr Geliebter ist Polizist. Alle Beamten, die in dem Fall ermittelten, sind ehemalige Kollegen des Opfers, ihres Vaters und ihres Geliebten. Sämtliche Fehler, die bei der Ermittlung begangen wurden (und es waren tatsächlich betrüblich viele, wie auch schon im Schwurgerichtsprozeß gerügt wurde) sind für Harrys Freunde Indizien für ein Komplott.

Am Samstag versammelten sich zu einem "Presse- und Bürgerinformationstag" zum "Fall Harry Wörz" mehr als 100 Interessenten im Gemeindehaus in Gräfenhausen, wo Guido Kröger, Mirka Wedel und Tanja Zipse in einer beachtlichen Fleißarbeit eine etwa 160 Seiten starke Homepage vorstellten, in der sie Daten, Fakten, Hintergründe, Fehler bei den Ermittlungen und bisweilen wilde Vermutungen zusammengetragen hatten. Harry, so das Fazit ihrer Arbeit, war derjenige nicht, der seine Frau versuchte, das Lebenslicht auszublasen. "Wir sind es seiner Frau schuldig, den wahren Täter zu finden", sagte Mirka Wedel. Viele von Harrys Freunden, die heute für sein Recht kämpfen, waren früher auch mit seiner Frau befreundet. In der mehr als zweieinhalbstündigen Veranstaltung im brechend vollen Gemeindehaus wurde vieles wiedergekäut, was auch schon in den vielen Tagen vor dem Schwurgericht und später vor dem Zivilgericht behandelt worden war. Alles, was Harry Wörz entlasten könnte aus Sicht der Veranstalter, wurde ausführlich dargelegt. Vermutungen auf andere Täter machten weder vor der betrogenen Ehefrau und einem Schreiben von ihr an Harrys Frau Halt, noch vor dem Vater der jungen Frau. Vielleicht hatten ja der Vater und der Geliebte gemeinsam die junge Frau beseitigen und die Schuld Harry zuschieben wollen? Ein teuflischer Plan, der an schlechte Kriminalromane erinnert.

Nachdenklich aber macht ein Gespräch, das Guido Kröger mit Harry am Vorabend der Tat geführt haben will. In dem sagte Harry, laut Kröger, daß er sich keine Illusionen über das Sorgerecht mache - das werde seiner Frau zugesprochen. Im Übrigen sei er froh darüber, daß alles Wesentliche erledigt sei und es nur noch "um ein paar Legosteine" gehe.

Außerdem hatte sich Wörz im März dieses Jahres einem Test mit einem Lügendetektor unterzogen. Angeblich kommt der renommierte Psychologe Professor Dr. Udo Undeutsch dabei zum Ergebnis, daß Wörz "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" nicht der Täter des folgenschweren Angriffes auf seine Frau sein könne. (Im Prozeß, in dem es um 300 000 Mark Schmerzensgeld geht, wurde diese Untersuchung noch nicht angesprochen. Dieser wird voraussichtlich am Montag, 27. November im Schwurgerichtssaal des Landgerichtes Karlsruhe fortgesetzt.)

Bei verschiedenen Spendenaktionen für Harry haben seine Freunde insgesamt rund 33 000 Mark gesammelt. 21000 davon wurden für die Kosten der Revision ausgegeben. Gerne würden die Freunde von Harry und seiner Frau einen großen Teil des Geldes zur Linderung der Leiden der jungen Frau geben, fürchten aber, daß der Kampf um Harrys Recht noch weiterhin viel Geld verschlingen wird. Dennoch gibt es für sie drei Opfer: Harry, seine Frau und deren gemeinsames Kind