Presse ab 1998

Presseartikel von 1998 - 2001

 

Hier gibts einige Zeitungsartikel zum Fall Harry Wörz. An der Art der Berichterstattung ist zu erkennen, wie sich die Meinungen zum Fall über die Jahre geändert haben. Leider haben wir nicht alle Artikel im Netz, versuchen aber in Zukunft so aktuell wie möglich zu werden.

 

13.01.1998

Kleinkind der einzige Augenzeuge (Pforzheimer Zeitung)


16.01.1998

Gen-Analyse belastet den Angeklagten (Pforzheimer Zeitung)


20.01.2000

GROßVATER: SOHN BELASTET VATER

Schadensersatzprozess für strangulierte Polizistin aus Birkenfeld mit ungewöhnlicher Wendung - Fortsetzung folgt

von PZ-Redakteur Michael Schenk

KARLSRUHE/BIRKENFELD. Ein knapp 5jähriger als Augenzeuge: Zwar muß Kai W. (4) wohl nicht vor dem Landgericht Karlsruhe gegen seinen Vater Harry aussagen. Doch indirekt erfuhr die 8. Zivilkammer gestern: Das Kind hat den 34jährigen belastet und die Tat geschildert.

Zwei Jahre nachdem Harry W. aus Gräfenhausen in einem spektakulären Indizienprozess zu 11 Jahren, wegen versuchten Totschlags an seiner Ehefrau Andrea, verurteilt worden ist, saß er nun wieder im Schwurgerichtssaal auf der Anklagebank. Wegen des großen Besucherinteresses - etwa 40 hatten sich eingefunden - war die Kammer in den Schwurgerichtssaal ausgewichen.

Dort hatte der Prozeß um 300.000 Mark Schmerzensgeld für das Opfer zunächst eine Zuspitzung erfahren. Denn Wolfgang Z., der Vater des Opfers, einer am Tattag 26jährigen Polizistin, sagte erstmals: Sein Enkel Kai habe bereits Ende September 1997 unvermittelt zu ihm gesagt: "Der Papa hat der Mama Aua gemacht".

Diese Aussage habe Kai mehrfach wiederholt und dabei auch an den Hals gegriffen und später auch Details genannt. Kai, so schildert Wolfgang Z., habe derartige Aussagen ebenso im Kindergarten gemacht, was zwei Erzieherinnen bestätigten. Im Strafprozeß 1998 habe er, so Wolfgang Z., diesen Umstand nicht erwähnt, weil er davon ausgegangen sei, man werde dem ohnehin keinen Glauben schenken.

Die kurz vor der Scheidung stehende und getrennt von Ehemann Harry W. lebende Andrea Z. war am 29.4.97 gegen 2.30 Uhr im Wohnhaus in der Erlenstrasse in Birkenfeld überfallen und mit einem Schal fast zu Tode stranguliert worden. Nach der Reanimation durch den Vater, der in der Einliegerwohnung im Souterrain genächtigt hatte, ist die Frau heute schwerstgeschädigt, ein Pflegefall; sie kann sich nicht mehr artikulieren und den Täter nennen.

Das Kind hatte das Verbrechen im Schlafzimmer der Mutter vom Bett aus verfolgt. Es konnte aber damals lediglich Wörter wie Mama und Papa, aber noch keine Sätze sprechen. Ergo: Opfer wie Augenzeuge konnten den Täter nicht benennen.

Insgesamt 5 quälende Stunden zog sich gestern die Einvernahme von Wolfgang Z. hin. Der Anwalt von Harry W., Hubert Gorka; nutzte sein Fragerecht weidlich aus. Hintergrund: Gorka hatte Wolfgang Z. wegen angeblicher Falschaussage im Strafprozess im vergangenen Oktober angezeigt. Hätte der Advokat damit Erfolg, könnte dies als Hebel dienen, eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu erreichen. Denn das Oberlandesgericht hatte die Revision verworfen.

Für Wolfgang Z., mittlerweile Polizist außer Dienst, eine quälende Prozedur, noch einmal minutiös die Details der schrecklichen Nacht zu schildern. Wie er durch Klopfgeräusche erwachte, wie er die Tür aufdrückt und die entblößten Beine seiner Tochter am Boden sah; wie er die Tür vom überraschten Täter entgegengeschlagen bekam, wie er schließlich nach unten rannte um Hilfe herbei zu telefonieren und sein schnurloses Telefon unten nicht fand; wie er dann seine Tochter leblos am Boden fand, wie sein Enkel ihn mit großen Augen anblickte; wie er verzweifelt den festgeknoteten Schal von ihrem Hals entfernte und, und, und... "Dieses Bild sehe ich jede Nacht vor mir", schluchzte er. Gorka's Unterfangen,Wolfgang Z. eine relevante Falschaussage nachzuweisen, schien gestern jedenfalls nicht von Erfolg gekrönt. Im Verlauf der achtstündigen Verhandlung, die fortgesetzt wird, standen zudem widersprüchliche Aussagen im Raum. Eine Polizeibeamtin habe in einem Kneipengespräch gegenüber einem Bekannten behauptet, ein Kollege von ihr sei der Täter.

Gestern stand ihr Wort gegen das des Bekannten. Fazit des Vorsitzenden Richters Wolf-Rüdiger Waetke: "Einer hat die Unwahrheit gesagt." Auf eine Vereidigung der beiden verzichtete die Kammer jedoch.

 

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Leserbrief vom 29.01.2000

Betreff: Großvater: Sohn belastet Vater von PZ-Redakteur Michael Sch., 20.01.2000

Wo bleibt die Objektivität?

Ich verfolge den Prozeß von Harry W. seit Anfang an, und muß zu meinem Bedauern feststellen, daß es der PZ weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart möglich war, eine objektive und wahrheitsgetreue Berichterstattung zu führen. Meiner Meinung nach haben die Leser Ihrer Zeitung das Recht sich ein eigenes Bild über diesen Fall zu machen, was jedoch mit den Artikeln des Herrn Schenk unmöglich ist, da er offensichtlich nicht in der Lage ist, vor Gericht richtig zuzuhören und den Verlauf der Verhandlung so darzulegen wie es der Wahrheit entspricht!

(Sollte Michael Sch. sich eine objektive Berichterstattung nicht zutrauen, wäre es vielleicht besser, einen anderen Redakteur mit dieser Geschichte zu betrauen. Ich denke es liegt auch in Ihrem Interesse Ihren Lesern wahrheitsgetreue Artikel zu bieten.) Der in Klammern stehende Text wurde nicht gedruckt.

Mirka Wedel

 

Leserbrief vom 29.01.2000

Betreff: Gerichtsbericht: Großvater: Sohn belastet Vater - von PZ-Redakteur Michael Sch. vom 20.01.2000

Nicht Objektiv

Ich habe den Fall von Harry W. - Andrea W. in den letzten 3 Jahren durch Zeitungsberichte mitverfolgt. Um mir ein besseres Bild des ganzen machen zu können, besuchte ich am 19. Januar die Gerichtsverhandlung in Karlsruhe. Nach diesem Besuch kann ich mit Gewißheit sagen, daß die PZ in dieser Sache nicht objektiv berichtet hat. Es wurde Details der Verhandlung offensichtlich verdreht. Ich denke nicht, daß dies im Sinne der PZ-Leser geschieht. Ihre Leser haben das Recht auf eine objektive Berichterstattung.

Tanja Zipse

 

Dieser Brief wurde nicht abgedruckt, da Guido Kröger als Zeuge in diesem Verfahren ausgesagt hatte.

Leserbrief, Betreff: Sohn belastet Vater, vom 20.01.00

Wer ließt schon, was in der Zeitung steht? Als Beobachter aller Prozeßtage, ist mir aufgefallen, wie "neutral" eine Berichterstattung aussieht, wenn man nur Kleinigkeiten wegläßt. Wenn ich von dem Lied ausgehe "wer ließt schon das was in der Zeitung steht?", schreibt man lieber nicht alles, es könnte ja sein daß jemand Zeitung ließt.

Es stimmt, daß der Vater vom Opfer gebrochen wirkte; es stimmt, daß der Enkel seinen Kindergärtnerinnen sagt "der Papa hat der Mama aua gemacht"; es stimmt, daß es Aussage gegen Aussage steht, die eine Polizistin und ein Freund vom Opfer ausgesagt hatten.

Wenn man dann aber wegläßt, daß der Vater vor der Tür lauthals spekuliert wie er die 300.000 Mark anlegt; man wegläßt, daß auf Nachfrage die Kindergärtnerinnen aussagen, der Großvater vom Kind hat ihm das so erklärt; eine Polizistin nach ihrer Aussage, auf Nachfrage eines Kollegen wie es gelaufen sei, antwortet: "so wie wir besprochen hatten". Dann kann ich mir das nicht erklären, noch weniger das Fehlen so unbedeutender Zeugenaussagen wie: "es gab schon früher Drogen in markierten Zigarettenschachteln im Haushalt vom Opfer". Im Strafprozeß waren Tagebücher verschwunden, drei Jahre später sind sie bei der Mutter (Beziehungstat?).

Ich hatte mich schon wegen früheren Berichten, direkt an Michael Sch. gewandt, mit der Bitte etwas objektiver zu werden, scheinbar ohne Erfolg. Schade das man keine Richtigstellung fordern kann, weil es eben bloß eine Kleinigkeit ist, die fehlt. Ein enttäuschter Leser.

Guido Kröger

 

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15.02.2000

ERMITTELTE POLIZEI "SEHR EINSEITIG"?

Zivilkammer am Karlsruher Landgericht deckt Ungereimtheiten bei den Ermittlungen gegen Harry W. auf

von PZ-Redakteur Gerhard Gründler

KARLSRUHE/BIRKENFELD. Wenn der wegen versuchten Totschlags an seiner Frau Andrea, einer zur Tatzeit 26jährigen Polizistin, zu 11 Jahren Haft verurteilte Harry W. aus Birkenfeld nicht zu einer Zahlung von Schmerzensgeld verpflichtet wird, dann kann er sich auch bei der Pforzheimer Polizei bedanken.

Der Vorsitzende Richter der 8. Zivilkammer am Landgericht Karlsruhe, Wolf-Rüdiger Waetke, sonst den Verteidiger von Harry W. kritisch auf den Rahmen der Beweisaufnahme hinweisend, stimmte gestern der Bemerkung von Huber Gorka, "es steht im Raum, daß die Ermittlungen sehr eingleisig gelaufen sind", zu.

Im Zivilprozeß, in dem herausgefunden werden soll, ob Harry W. den pflegenden Eltern Z. der nach dem Totschlagversuch schwerstbehinderten Andrea W. 300.000 Mark zahlen muß, geht es nicht darum, den Fall neu aufzurollen, sondern, so Waetke, "einzelne streitige Komplexe" zu untersuchen. Ein solcher Komplex betraf eine weiße Tüte, die am Tag der Tat, dem 29.04.97, zum Souterrainabgang im Haus der Zs an der Erlenstraße stand.

Für den Richter von Bedeutung, was es mit der Tüte auf sich haben könnte, wussten die als Zeugen geladenen Kriminalbeamten aus Pforzheim keine einhellige Antwort. Sie gaben sich mit Antworten von Andrea's Vater Wolfgang Z., vor zwei Jahren selbst noch Polizist, und nach strengen Ermittlungsregeln zum Kreis der Verdächtigen zählend, zufrieden.

"Drei Versionen wurden uns aufgetischt", resümierte Waetke. Einmal soll laut Z. Abfall drin gewesen sein, einmal soll das Teil nicht zum Haus gehört haben, auch Reinigungsmittel könnten in der Tüte gewesen sein, zitierte ein Kripomann Wolfgang Z.

Daß auch Plastikhandschuhe drin waren, hat ein Polizist gesehen, sich aber nicht darum gekümmert, ob zwei Fingerlinge daran fehlten. Denn bei der Verurteilung nach dem Indizienprozess gegen Harry vor zwei Jahren spielten diese zwei Fingerlinge eine entscheidende Rolle. Einer von ihnen wurde auf dem Bett der strangulierten Andrea W. gefunden. Wo aber war der Handschuh dazu? Die Polizei hat bei der Suche nach ihm auch außerhalb des Hauses in der Erlenstraße keine gute Figur abgegeben.

Ein Beamter behauptet solche Einmalhandschuhe neben Harry's Auto gesehen zu haben, glaubte aber, ein Kollege hätte sie nach der Spurensicherung liegen lassen. Der hat aber nichts dergleichen wahrgenommen, dafür aber am Außenspiegel einen Handschuh gesehen. Nein, sagt der nächste Kollege, nicht am Spiegel, sondern vor dem Beifahrersitz und ist mit dieser Feststellung alleine.

Auf einen weiteren Kollegen von Wolfgang Z. und Andrea W., einen Polizisten (41) aus Pfinztal, verwendete der Richter viel Zeit. Er war ein Jahr der Liebhaber der in Scheidung lebenden Andrea W. und gehörte bei Ermittlungsbeginn Ende April 97 wie Harry W. zum Kreis der Tatverdächtigen. Doch für jene Nacht, in der die bewusstlose Andrea W. um 2.30 Uhr von ihrem Vater entdeckt worden sein soll, "ist er zu Hause gewesen", versichert seine Frau den Richtern.

Sie habe ihren Mann zwar nicht unter Druck gesetzt, sich für seine Familie oder für Andrea zu entscheiden, habe ihm aber klargemacht, daß es so nicht weiter gehe. Untermauert hat sie ihren "festen Willen", indem sie ihm einen Brief, verfasst von einem Rechtsanwalt, schicken ließ. Das Schreiben habe ihr Mann kurz vor der Tat in Birkenfeld in Händen gehabt. Nach der Lektüre sei er wütend geworden, "und hat den Brief in eine Ecke geworfen".

 

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Dieser Brief wurde leider nicht gedruckt!

LESERBRIEF, "Ermittelte Polizei ‚sehr einseitig' ?" vom 15.02.2000 von PZ Redakteur Gerhard G.

Wie alle wissen, ist Harry W. vor 2 Jahren zu 11 Jahren Haft verurteilt worden. Doch wenn man den Schmerzensgeld-Prozeß vor Ort mitverfolgt, kommen große Zweifel auf, ob die damaligen Ermittlungen in alle Richtungen geführt wurden. So bin ich der Meinung, daß Gerhard G. die tatsächliche Situation sehr gut beschrieben hat. Ich bin entsetzt, daß der Polizei solche groben Ermittlungsfehler passieren "dürfen"! Man bekommt das Gefühl, daß die Polizei alles in ihrer Macht stehende getan hat, um keine entlastenden Beweise zu finden.

Was wäre gewesen, wenn die Polizei nachts um 3 Uhr Harry W.s Wohnung gestürmt hätte? Was wäre gewesen, wenn die Polizei nachts um 3 Uhr das Auto von Harry W. untersucht hätte, und der Motor wäre kalt gewesen? Harry W. wäre entlastet gewesen!!! Warum konnten der Polizei so grobe Fehler passieren? Hat sich überhaupt schon mal jemand Gedanken gemacht, daß die Möglichkeit besteht, daß Harry W. unschuldig ist? Denn es gab keinen einzigen Beweis der 100%ig gegen ihn gesprochen hat.

Ich möchte unsere Polizei nicht schlecht machen, denn Polizisten sind auch nur Menschen, und Menschen machen Fehler! Aber wenn es um ein Menschenleben geht, dürfen solche Fehler einfach nicht passieren!

Herr G., Sie waren am letzten Verhandlungstag dabei, und haben nicht weggehört! Wir wollen Ihnen danken, daß Sie so offen über die Mißstände geschrieben haben. Wir hoffen sehr, daß Sie beim nächsten Verhandlungstag wieder dabei sind, und Ihren Bericht genauso wahrheitsgemäß fortsetzen...

Mirka Wedel

 

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12.02.2000

GRÄFENHAUSEN STEHT ZU HARRY

Ungeachtet aller Gerichtsurteile sind viele von der Unschuld des wegen versuchten Totschlags Verurteilten überzeugt.

BIRKENFELD. Wer hat im April 1997 Andrea W. in Birkenfeld fast zu Tode stranguliert? Wer ist Schuld daran, daß die 26jährige Polizeibeamtin nach der Wiederbelebung ein Pflegefall ist, unfähig sich zu artikulieren?

Von PZ-Redakteur Michael Schenk

Wer hat zu verantworten, daß das Opfer nun nicht mehr in der Lage ist, die kleinsten Verrichtungen vorzunehmen?

Das Schwurgericht in Karlsruhe hatte im Januar 1998 eine klare Antwort gegeben. Aufgrund von Indizien verurteilte es den getrennt lebenden Ehemann Harry W. aus Gräfenhausen zu 11 Jahren Haft.

Am kommenden Montag wird der mittlerweile entbrannte Zivilprozess in Sachen W. in Karlsruhe fortgesetzt. Erneut muß ein Gericht entscheiden: Was passierte in jener Aprilnacht, als Hilfeschreie einen Nachbarn aufweckten - doch er glaubte unglückseligerweise an Töne aus dem TV-Gerät.

Grund für den erneuten Gang vor den Kadi: Die Mutter als gesetzliche Vertreterin von Andrea W. fordert für ihre Tochter 300.000 Mark Schmerzensgeld. Harry W. sieht die Forderung als berechtigt an. Doch er sei "die falsche Adresse", er sei nicht der Täter, beharrt der heute 36jährige, auch noch fast 3 Jahre nach dem versuchten Totschlag, auf seine Unschuld.

Eiserner Glaube

Wer ist der Täter? Wer riss Andrea aus der Blüte ihrer Jahre? Die Frage, die der Bundesgerichtshof als beantwortet bezeichnet indem er die Revision von Harry W. verworfen hat, sie gilt in dessen Heimatort Gräfenhausen als nach wie vor offen.

Die jeweils stattliche Kulisse im Gerichtssaal macht es deutlich: Viele Gräfehäusener glauben eisern an ihren Harry und seine Unschuld. Familienangehörige, seine Freundin und Freunde - auch aus dem örtlichen Motorradclub - verfolgen den Prozess unablässig.

Nein, allein gelassen muß sich Harry gewiss nicht fühlen. Etwa 30 Anhänger sind es wohl an jedem Prozesstag, die die teilweise quälend lange Einvernahmen von A bis Z verfolgen. Die Kammer wechselte deshalb vom kleinen Raum für Zivilverfahren in den noblen Schwurgerichtssaal, wo Harry bereits vor 2 Jahren auf der Anklagebank Platz nehmen mußte.

Eine zusätzliche Abschrankung ließ das Gericht aufbauen. Denn Harry's Anhänger wollten es von Anfang an nicht beim Blickkontakt belassen, was dem Vorsitzenden Richter Wolf-Rüdiger Waetke missfiel. Sie wollen mit Harry sprechen und ihm, der stets in Handschellen vorgeführt wird, vermitteln: Wir glauben an Dich, Du bist nicht allein.

Beistand des Seelsorgers

Unter den Zuschauern sitzt jeden Tag der evangelische Pfarrer von Gräfenhausen, Peter Knop. Als Harry's Seelsorger obliegt dem 46jährigen keine einfache Aufgabe. Der ohnehin wortkarge Geistliche fühlt sich an seine Schweigepflicht gebunden. Zur Schuldfrage direkt befragt, will er sich nicht äußern. "Heikel" und "leidvoll" nennt er das Geschehen.

Minuten später erzählt er dann von einem Filmemacher. Der habe herausgefunden, daß in Deutschland 48 Prozent als Häftlinge fälschlicherseits hinter Gittern säßen...Also doch noch ein unerwartet deutlicher Hinweis des Seelsorgers?

Ob in der Bäckerei um die Ecke oder die Rentnerin auf der Straße. Niemand findet sich in Gräfenhausen, der Harry W. die ruchlose Tat zutraut. Während sie ein schokobraunes Gebäckstück in die Tüte verpackt, schüttelt die dunkelblonde Frau hinter dem Tresen den Kopf. Sie ist in Harry's Alter, kennt ihn oberflächlich. "Das sagt mir mein Gefühl, das kommt aus dem Bauch raus", beantwortet sie die Frage, woher sie ihre Gewissheit hernimmt. Wie manch' Gräfenhäusener Leserbriefschreiber wirft sie der PZ bei der Berichterstattung "mangelnde Objektivität" vor.

Die Gräfenhäusener lässt Harry's Schicksal nicht kalt, sie nehmen Anteil, das Geschehen polarisiert... An die Pforzheimer Polizei adressiert geht der Vorwurf, in eigener Sache ermittelt zu haben - und genau deshalb sei Harry als Täter ermittelt worden.

Erika B. kennt Harry schon seit seinem sechsten Lebensjahr. Damals betreute sie ihn im Rahmen der Kinderkirche. "Ich habe noch niemanden getroffen, der es dem Harry zutraut", sagt auch sie. Im Laufe der Jahre hatte sich der Kontakt zu Harry auf einen freundlichen Gruß auf der Straße reduziert.

Aber wie das ganze Dorf steht auch Erika B. zu Harry. Sie besucht ihn nun in der Haft. Das tue sie übrigens unabhängig von der Schuldfrage: "Als Christ bin ich meinen Mitmenschen die gute Nachricht von Gottes Liebe und Barmherzigkeit schuldig".

 

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Leserbrief vom 19.02.00

Äußerst aggressiv - Gräfenhausen steht zu Harry, von PZ-Redakteur Michael Sch.

Wie bereits in dem Bericht erwähnt, wurde Anfang Januar 1998 eindeutig die Schuld des Verbrchens Harry W. zuerkannt, demzufolge waren 11 Jahre Haft das Strafmaß. Sein Revisionsantrag wurde vom Bundesgerichthof verworfen. Aus der damaligen Gerichtsverhandlung ist mir bekannt, daß Harry W. wegen gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung, Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz und Waffengesetz schon lange vor der entsetzlichen Tat polizeilich negativ aufgefallen ist. Somit ist Harry W. nicht nur als gutmütig, sondern als äußerst aggressiv einzuschätzen.

Hat die Einwohnerschaft von Gräfenhausen - deren Mitglied auch das Opfer war - schon einmal an den kleinen Jungen gedacht, der mit der schwerstbehinderten Mutter aufwachsen muß und jeden Tag vor Augen hat, wie sich das Opfer durch das Leben quält. Harry W. kann jegliche psychologische Betreuung in Anspruch nehmen und nimmt sie auch wahr. Von kirchlicher Seite im Vollzug und von der Gemeinde Gräfenhausen durch Pfarrer Knop bekommt er seelsorgerischen Beistand.

Ich frage mich, hat jemals in den vergangenen 3 Jahren das Opfer und seine Familie in dieser Hinsicht Trost von Seiten der Kirchen Gräfenhausen oder Birkenfeld erhalten? Der Seelsorger, Pfarrer Knop, schließt sich der Feststellung eines Filmemachers an, daß 48 Prozent der Häftlinge in Deutschland unschuldig hinter Gittern sitzen. Durch diese Feststellung wird wohl unserer Rechtsprechung und der Rechtsstaat auf das Äußerste angegriffen und in Frage gestellt.

Heide G.

 

Leserbrief vom 26.02.2000

Betreff: "Äußerst aggressiv" v. Heide G. 19.02.00

Schmutzige Wäsche gewaschen

(Zu allererst möchte ich hier loswerden, daß mein Leserbrief vom 29.01.00 nicht veröffentlicht wurde, weil ich Zeuge in dem Verfahren war. Es ist mir im nachhinein klar, daß so etwas vernünftig ist. Ich habe mich so weit von der PZ belehren lassen - dafür habe ich mittlerweile Verständnis.) Der in Klammern geschriebene Text wurde am 26.02. 2000 nicht gedruckt!

Frau Heide G., es wäre in Ihrem Fall nur fair gewesen, zuzugeben, daß Sie die Schwester von Wolfgang Z. sind. Mir liegt nichts an schmutziger Wäsche, aber ich hätte lieber 20.000 Mark für die Genesung von Andrea gesammelt und ausgegeben, als für die Verteidigung eines Unschuldigen, denn ich kenne beide gleich lang und kann mich mit Andrea's Schicksal genauso wenig abfinden, wie mit der Verurteilung von Harry. Denn meiner Meinung nach gibt es drei Opfer in diesem Fall: Harry, Kai und Andrea.

Guido Kröger

 

Leserbrief vom 26.02.2000

Betreff: "Äußerst aggressiv" von Heide G. vom 19.02.2000

Im Haushalt nicht geholfen

Mit etwas Verärgerung, muß ich gestehen, habe ich diesen Brief von Frau Heide G. gelesen. Als relativ Unbeteiligte, ich kenne Harry W. nicht sehr gut, habe ich diese ganze Vorgeschichte und den noch laufenden Schmerzensgeldprozess verfolgt.

Deshalb muß ich mich jetzt, nach diesem Leserbrief vom vergangenen Samstag fragen, wenn Frau Heide G. in einer Gerichtsverhandlung von Auffälligkeiten, Harry W.s Körperverletzung etc., gehört hat, warum hat sie dann nicht gehört, weshalb es nie zu einer Anklage gekommen ist, oder wollte sie es nicht hören?

Auch ich gehöre zu den Menschen, die sich über die einseitige Berichterstattung der Pforzheimer Zeitung geärgert haben. Jetzt, da dies wohl nicht mehr zutreffend ist, werden von Seiten Familienangehöriger Andrea W.s (Frau Heide G. ist wohl ihre Tante) halbe Sachen unter die Leute gestreut.

Während den letzten Verhandlungstagen ist mehr als deutlich ans Tageslicht gekommen, daß Andrea W.s Probleme mit Harry W., während ihrer Ehe, darin bestanden, daß er nicht genügend im Haushalt half. Kein Wort davon, daß er jemals handgreiflich wurde!

Auch nach dem Auszug von Andrea bestanden ihre Probleme einzig und allein aus Antipathien gegenüber dem Sachbearbeiter des zuständigen Jugendamtes. Wieder war in keinster Weise Harry W. mit irgendwelchen aggressiven Aktionen beteiligt.

Alexandra Großmann

 

Leserbrief vom 26.02.2000

Betreff: Leserbrief von Frau Heide G. "Äußerst aggressiv" vom 19.02.2000 Unwissenheit oder Naivität?

Die Wahrheit wird siegen

Grundsätzlich ist gegen den Leserbrief nichts einzuwenden, sollte er von jemandem geschrieben worden sein, der keinen allzu großen Einblick in die ganze Sache hat oder der sich als Tante des Opfers herausstellt. In erster Linie stört mich persönlich an diesem Brief, daß die Schreiberin anklagt, die Familie des Opfers würde keinen seelischen Beistand erhalten. Stimmt es denn nicht, daß dieser Beistand von der Familie abgelehnt wurde?

Stimmt es etwa auch nicht, daß der Vater des Opfers in den Verhandlungspausen lautstark mit Freunden darüber diskutiert hat, wie er denn das erstrittene Schmerzensgeld von DM 300.000.- am besten ausgeben könne? Er ist sich anscheinend noch nicht sicher, welchen Luxus er sich leisten wird, sollte es zu einer Verurteilung Harry's kommen. Ich war immer der Meinung, ein Schmerzensgeld steht einzig und allein dem Opfer zu.

Ich nahm an, man würde versuchen Andrea das Leiden mit diesem Geld ein wenig erträglicher zu machen. Ich hab mich wohl getäuscht. Obwohl ich es hätte ahnen müssen, denn wie wir von Andrea aus ihren Teenie-Zeiten wissen, war ihr Verhältnis zum Vater schon immer sehr schlecht. Aus diesem Grund glaube ich auch Erzählungen Andrea würde in der Schömberger Klinik kaum Besuch erhalten und würde recht vernachlässigt in ihrem Zimmer sitzen. Bevor man also Herrn Pfarrer Knop Vorwürfe macht, solle man sich vielleicht eher an die eigene Nase fassen.

Erschreckend ist für mich ebenfalls die Tatsache, daß der Vater des Opfers während den Verhandlungen fast ständig hämisch in die Runde grinst und zu einer menschlichen Reaktion nur im Zeugenstand fähig ist. Ich habe Andrea sehr gemocht und bin daher über die Verhaltensweise ihrer Familie sehr geschockt. Mir würde es an deren Stelle nicht genügen, irgendeinen jungen Mann ins Gefängnis zu bringen. Mein Rechtsempfinden ist so ausgeprägt, daß ich dafür sorgen würde, daß der Täter hinter Gitter muß. Ich könnte nicht mit dem Gedanken leben, daß er weiterhin frei ist. Ich finde, das ist man auch Andrea schuldig.

Ich denke sehr oft an Andrea, Harry und Kai. Bei Andrea sind unsere Möglichkeiten leider beschränkt, aber für Harry und Kai kann es noch eine Zukunft geben, wenn man beiden eine Chance gibt und ich weiß, sie werden sie bekommen, denn die Wahrheit wird siegen.

Tanja Zipse

 

Leserbrief vom 26.02.2000

Betreff: "Äußerst aggressiv" Leserbrief von Heide G. vom 19.02.2000

Ein Herz und eine Seele

Das Harry W. polizeilich aufgefallen ist, will niemand bestreiten, hierzu sollte aber auch erwähnt werden, daß es nie zu einer Strafverfolgung mit Verurteilung kam! Doch wer an der damaligen Gerichtsverhandlung teilgenommen hat, hat auch gehört, daß die vermeintlichen Vergehen, die Sie angesprochen haben, aus dem internen Polizeicomputer gelöscht wurden! Die Einwohner von Gräfenhausen denken tagtäglich an Kai und vorallem an Andrea. Sie hatte ihr ganzes Leben noch vor sich, und solch ein Schicksal hat sie bestimmt nicht verdient! Doch hat der kleine Kai verdient, daß er einen Vater hat, den er nicht sehen darf? Was, wenn Harry W. unschuldig ist, wie viele Einwohner (nach 3 Jahren!) immer noch glauben? Dann hätte unser "Rechtsstaat" das größte Unrecht von allen gesprochen. Denn wer Harry und Kai zusammen erlebt hat, weiß, daß die beiden immer ein Herz und eine Seele waren! Wer bräuchte keinen seelischen Beistand, wenn man immer wieder seine Unschuld beteuert, und dennoch eingesperrt wird. Was nehmen Sie der Gemeinde übel? Daß sie hinter Harry steht, der aufgrund fehlerhafter Ermittlungen der Polizei verurteilt wurde? Dann haben Sie mehr Grund die Polizei zu kritisieren! Denn wir alle sind sicher, daß der wahre Täter noch frei ist. Wir wollen Gerechtigkeit für Andrea, wir wollen das Kai seine Kindheit und sein Leben wieder genießen kann! Er ist das größte Opfer, denn sein Leben hatte noch nicht einmal richtig angefangen!

Mirka Wedel

 

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12.09.2000

AUGENZEUGE OHNE BELANG

Einvernahme des Kindes im Zivilprozeß um Schadensersatz für strangulierte Polizistin durch Psychologin:

von PZ-Redakteur Michael Schenk

KARLSRUHE/BIRKENFELD. Kann die Aussage eines Kindes einen Zivilprozeß entscheiden? Ein Verfahren, bei dem es um 300.000 Mark Schmerzensgeld geht? Diese Summe fordern die Eltern der 29-jährigen Andrea Z. aus Langenbrand von ihrem Ex-Ehemann, Harry W.

Elf Jahre Haft hat das Schwurgericht gegen den Gräfenhäusener verhängt, weil er die Polizistin in einer Nacht Ende April 1997 mit einem Schal stranguliert hatte. Ihr Vater, ebenfalls Ordnungshüter von Beruf, hatte damals die Vollendung der Tat vereitelt, doch der Täter war unerkannt entkommen. Andrea Z., Mutter des damals zweijährigen Kai, konnte wiederbelebt werden, lag wochenlang im Koma und ist heute ein Schatten ihrer selbst: geistig behindert und gelähmt.

Harry W., der ein frühes, schriftliches Geständnis widerrufen hatte, war trotz gravierender Ermittlungspannen vom Schwurgericht Karlsruhe im Januar 1998 verurteilt worden. Hauptindiz gegen ihn bildete eine Plastiktüte am Tatort in Birkenfeld; darin befanden sich unter anderem Fingerlinge von Plastikhandschuhen, wie sie Harry W. zu verwenden pflegte - und daran wiederum Hautpartikel, die ein Sachverständiger Harry W. mittels Genanalyse zuordnete.

Den Vater belastet

Im seit vergangen Herbst in Karlsruhe anhängigen Zivilverfahren war nun das heute viereinhalbjährige Kind Kai ins Blickfeld gerückt. Der Junge, Augenzeuge der Tat, soll nachdem er sprechen gelernt hatte, wiederholt den Vater belastet haben.

Eine Psychologin aus Stuttgart hatte nun das Kind im Auftrag des Gerichtes in seiner häuslichen Umgebung bei Mutter Andrea Z. und deren Eltern begutachtet Ihr Fazit: Ein Kleinkind in diesem Alter ist wie Wachs in den Händen seiner Beziehungspersonen. Mithin sind dessen Aussagen kaum verwertbar. Zwar sei nicht ausgeschlossen, daß das Kind tatsächlich Erlebtes wiedergibt. Doch sei dies höchst zweifelhaft. Nach Erkenntnis der Wissenschaft sei frühestens vom dritten Lebensjahr, normal erst vom vierten Jahr, Erinnerungsfähigkeit feststellbar. Alles vorher falle dem kindlichen Vergessen ("infantile Amnesie") anheim.

Feststellbar sei eine Ablehnung des Vaters, die sich, so formulierte es der Vorsitzende Richter der achten Zivilkammer Wolf-Rüdiger Waetke, "wie ein roter Faden durch das Gutachten zieht". Doch die, so die Psychologin, könne vom häuslichen Umfeld stammen. Schließlich befinde sich das Kind in einem "schweren Loyalitätskonflikt". Aus Angst vor Liebesentzug übernehme es die Wertung der Bezugspersonen: "Dafür besitzen Kinder eine sehr feine Antenne". Immerhin, aufmerken ließ eine Äußerung Kais, als ihm die Psychologin ein Bild der Räumlichkeit des Tatorts, Schlafzimmer und Flur, zeigte. Es habe eine Kommode als den Platz bezeichnet, wo das Tatwerkzeug, der Schal, gelegen habe. Doch auch hierzu merkte die Psychologin an: "Nicht verwertbar, wegen zu vieler Unwägbarkeiten".

Zuvor waren gestern abermals Ermittlungsfehler der Pforzheimer Kripo in den Blickpunkt geraten, die der Kammer nach wie vor unverständlich blieben.

Abscheu gegen Fotos

Jedenfalls, so räumte der damals zuerst ermittelnde Beamte ein, war nicht mit letzter Konsequenz recherchiert worden; denn man habe erwartet, daß das Opfer - die Kollegin - bald erwachen und den Täter werde nennen können. Doch bis heute fehlt ihr die Fähigkeit zur eindeutigen Artikulation. Jedoch reagiere sie, so ihr Vater Wolfgang Z., auf Fotos ihres Ex-Mannes mit deutlicher Abscheu - im Gegensatz zu solchen ihres damaligen Geliebten, eines Kollegen. Ob dies gutachterlich untermauert - womöglich sogar mit einer persönlichen Gegenüberstellung - in den Prozeß eingeführt werden könnte, dies stellten die beiden Anwälte der Eltern von Andrea in den Raum. Wolfgang Z. will dazu noch seine Frau ("gelernte Krankenschwester"), die gestern nicht zugegen war, befragen.

Ihnen gegenüber beantragten Harry W. und sein Vertreter Hubert Gorka, das Gengutachten der Spuren im Fingerling zu überprüfen und nach mittlerweile fortentwickelter Technik neu zu erstellen.

Inwieweit die Kammer diesen Ansinnen entgegenkommt, war gestern nicht mehr zu erfahren. Nach intensiver Beratung entschied das Gericht jedenfalls, das Verfahren noch nicht endgültig abzuschließen; es setzte den 16. Oktober als nächsten Verhandlungstermin an.

 

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Leserbrief vom 16.09.2000

Kritik an der Justiz

Augenzeuge ohne Belang vom 12. September 00

Es ist doch schon erstaunlich, was Herr Schenk so alles schreibt, wenn er nur eine halbe Stunde im Gerichtssaal anwesend ist. Wenn er doch in seinem Bericht vom 20. Januar schreibt, Sohn belastet Vater schwer, und dann genau zitiert, was der Sohn Kai alles dem Großvater Wolfgang Z. erzählt haben will, dann fehlt in seinem Bericht die genaue Analyse des Gutachtens um das es am Montag, 11. September ging. Denn gerade das belegt, daß alles was der Sohn von sich gibt, ihm in seiner Zeit die er nach der schrecklichen Tat bei seinem Großvater verbracht hat, eingetrichtert wurde.

Ich selber habe einen zweijährigen Sohn und denke, es ist schon schlimm genug, daß der Kleine keine richtigen Eltern mehr hat, aber daß er so auf schäbige Weise manipuliert wird, grenzt meiner Meinung nach schon an Kindes-Mißhandlung. Aber die Schäden, die dort schon angerichtet wurden, werden gern in Kauf genommen, ohne Rücksicht auf Verluste. Wie ich schon einmal erwähnte, gibt es für mich in diesem Fall, drei Opfer: Andrea, Kai und Harry. Dank der deutschen Justiz. Und zur PZ-Berichterstattung, da fehlen mir die Worte, da sage ich nur Pfui!

Guido Kröger

 

Leserbrief vom 16.09.2000

Fehlerhafte Ermittlungen?

"Augenzeuge ohne Belang" von PZ-Redakteur Michael Schenk,12. 09.00.

Dafür, daß Herr Schenk der Verhandlung nur die letzten paar Minuten beigewohnt hat, ist sein Artikel überraschend lang ausgefallen! Es ist nur schade, daß Herr Schenk immer wieder das "widerrufene Geständnis" erwähnt, da es von der Polizei als "Gefälligkeitsgeständnis" abgetan wurde.

Das sogenannte "Hauptindiz", die Plastiktüte mit den darin befindlichen Handschuhen, wiesen keinerlei Spuren von Harry W. auf. Denn die Fingerlinge von denen Herr Schenk schreibt, wurden in der Wohnung des Opfers gefunden, nicht in der Tüte. Unerwähnt blieb, daß auf einer in der Tüte befindlichen Zigarettenschachtel ein Fingerabdruckfragment von Wolfgang Z. gefunden wurde.

Das Kind Kai, heute fünfeinhalb und nicht viereinhalb Jahre alt, wurde nicht nur im Hause der Familie Z. begutachtet, sondern auch im Kindergarten. Traurig auch, daß Herr Schenk zwar darauf eingeht, daß Kai "ablehnend gegenüber seinem Vater reagiert" aber unerwähnt läßt, daß Kai bei den Großeltern väterlicherseits, nach seinem Vater fragt und ihn besuchen möchte! Die Psychologin bestätigte, daß es durchaus sein kann, daß Kai in anderer Umgebung positiv auf Harry W. reagiert!

Die fehlerhaften Ermittlungen wurden mal wieder nur am Rande erwähnt Daß nicht geklärt werden konnte, warum das Auto, daß 100 Meter entfernt geparkt war, trotz Fahndung nicht gefunden wurde, und warum auf die Wohnung des Angeklagten nicht zugegriffen wurde, erscheint dann doch interessant Auch die Aussage, "man hätte nicht auf die Wohnung zugegriffen, da das Licht (um drei Uhr morgens) nicht an gewesen sei und man davon ausging, daß der Angeklagte nicht zu Hause sei", ist erwähnenswert, da dies nicht von "irgendeinem" ermittelnden Beamten gesagt wurde, sondern vom Einsatzleiter der Tatnacht

Mirka Wedel

 

Leserbrief vom 23.09.2000

Unglückliche Formulierungen

"Augenzeuge ohne Belang", von PZ-Redakteur Michael Schenk.

Ihren Artikel habe ich wie immer aufmerksam gelesen - wie schon des Öfteren, lassen Sie die notwendige Objektivität missen, was ja auch verständlich erscheint, wenn man nur kurzfristig selber der Verhandlung beiwohnt und folglich auf weiteres Hörensagen angewiesen ist.

Folgende Punkte sind für Insider und Betroffene mehr als zweifelhaft sowie teilweise durch unglückliche Formulierungen nicht zutreffend.

Richtig ist, daß ich nie durch meinen Sohn Kai belastet wurde, sondern nur durch die Aussage seines Vormundes. In der letzten Verhandlung hat sich jedoch klar herausgestellt, daß jede Aussage des Jungen suggeriert sein muß, da die Gutachterin eine Aussagefähigkeit des Kindes absolut verneinte. Sie haben es versäumt, den Lesern diese Diskrepanz aufzuzeigen.

Verblüffend war auch die Kenntnis wegen eines angeblichen Geständnisses meinerseits. Ich stelle hiermit richtig, daß am Verhandlungstag, 12. September 2000, nie von einem Geständnis gesprochen wurde. Außerdem gab es aus meiner Sicht nie ein Geständnis - auch für kein Gericht war es jemals relevant.

Außerdem ist es auch verwunderlich, daß in Ihrer Berichterstattung zwar von polizeilichen Ermittlungsfehlern die Rede ist, nicht aber erwähnt wird, daß ein damaliger Hauptverdächtiger bei der Ermittlungsarbeit rechtswidrig, aber maßgeblich mitgewirkt hat

Harry Wörz Mittelberg 1, Heimsheim

 

Leserbrief vom 23.09.2000

Kein negativer Prozeßtag

Augenzeuge ohne Belang, PZ vom 12.09.00

Am 11. September wurde der Zivilprozeß im Fall "Wörz" fortgesetzt. Kurz bevor die Verhandlung zu Ende war, tauchte Herr Schenk im Gerichtssaal auf. Uns stellte sich natürlich die Frage, was will jemand schreiben, der die meiste Zeit nicht anwesend war? Doch Herr Schenk, ein Talent im Improvisieren, verfaßte wie geahnt seinen Artikel.

Dieser Prozeßtag verlief in keinster Weise negativ für den Angeklagten, was aus Herrn Schenks Bericht jedoch nicht ersichtlich ist und der PZ-Leser somit auch nicht erfährt. Daß er einseitig berichtet, daran hatte sich die Mehrheit der beteiligten Personen schon gewöhnt, aber daß er nach fast einem Jahr Zivilprozeß noch nicht in der Lage ist, die bekannten Fakten korrekt wiederzugeben, ist schon beinahe lächerlich.

Das erwähnte, schriftliche Geständnis, wurde nicht nur widerrufen, sondern auch sofort von der Polizei als Gefälligkeitsgeständnis anerkannt und nicht zu Protokoll genommen.

Die erwähnte Plastiktüte, die dem Täter zugerechnet wurde, beinhaltete keinesfalls Fingerlinge, die mit Hauptartikeln von Harry behaftet waren, sondern eine Zigarettenschachtel mit einem Fingerabdruck eines Verwandten des Opfers.

Kai, der Sohn, wurde in diesem März fünf Jahre alt und ist aus diesem Grund mittlerweile auch nicht viereinhalb. Er wurde nicht nur im Haus der Großeltern mütterlicherseits von der Psychologin befragt, sondern auch im Kindergarten. Laut Psychologin ist Kai's Haltung, Harry gegenüber, von der Umgebung abhängig in der die Befragung stattfindet. Hätte man Kai bei Harrys Familie befragt, hätte er mit Sicherheit positiv auf seinen Vater reagiert.

Tanja Zipse

 

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Donnerstag, 09. November 2000

HARRYS FREUNDE MACHEN MOBIL

von PZ-Redakteur Olaf Lorch

Es ist der Tag, der in Gräfenhausen unvergessen bleiben wird: der 29. April 1997. Es sind die Minuten, die das Leben mehrerer Menschen aus den Angeln heben, aus der Bahn werfen, Gräben aufreißen: Gegen 2.30 Uhr würgt aller Wahrscheinlichkeit ein Mann die damals 26 Jahre alte Andrea W. in ihrem Haus fast zu Tode. Nur ein Kind, der heute fünfeinhalbjährige Sohn Kai, ist Zeuge. Doch aus eigenem Erleben kann er zumindest gegenwärtig nichts Tatrelevantes sagen. Die Polizistin überlebt mit irreparablen Hirnschäden. Sie wird zeitlebends ein vor sich hin dämmernder Pflegefall bleiben.

Der das getan hat, war ihr (mittlerweile Ex-) Mann sagen Polizei, Staatsanwaltschaft, Andreas Eltern. Und schließlich auch die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Karlsruhe, die Harry Wörz, 34, im Januar 1998 wegen versuchten Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilt. Die Revision beim Bundesgerichtshof wird nicht zugelassen.

Der das getan hat, war ein anderer vielleicht der Geliebte Andreas, ein Kollege? Vielleicht der eigene Vater? Vielleicht ein Unbekannter? Das glauben Harrys Freunde, von denen es nicht wenige gibt in Gräfenhausen. Ebenso seine Anwälte aus einer der renommiertesten Kanzleien Karlsruhes. Und vielleicht wird dies noch eine ausschlaggebende Rolle spielen der Nestor der deutschen Gutachter, der emeritierte Kölner Professor Udo Undeutsch. Die 30-seitige Auswertung eines "Lügendetektor"-Tests, dem sich Wörz freiwillig unterzog, kommt zu dem Fazit: "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" könne "ausgeschlossen werden, dass Harry Wörz der Täter ist". Die Frage ist nur: Wird die 8. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe, die derzeit über eine im Raum stehende Schmerzensgeldklage von Andreas Eltern in der Größenordnung von 300 000 Mark zu urteilen hat, diese umstrittene Methode der Wahrheitsfindung prozessual würdigen?

Wird sie sich des weiteren vom wissenschaftlichen Gutachten eines der führenden Gen-Labors Europas dem der Universität Bonn beeindrucken lassen, das mit Spannung erwartet wird und eine DNA-Expertise zumindest relativieren soll, die letztlich zur Verurteilung von Harry W. führte? Und selbst, wenn das alles zur Zufriedenheit der Verteidigung erörtert und berücksichtigt wird könnte dieser Etappensieg, so sie ihn denn erringt, ausschlaggebend sein für die Neuaufnahme des Strafverfahrens? Dies, wenn dem so wäre, fiele dann laut internem Verteilungsplan des Oberlandesgerichts Karlsruhe einer Schwurgerichtskammer des Landgerichts Mannheim zu. Auch dann handelte es sich um einen reinen Indizienprozess einen, in dem Spuren zum Teil (absichtlich oder nicht?) verwischt, zum Teil nicht nachgegangen worden seien, argumentieren die, die von einem tragischen Justizirrtum sprechen.

Ihr Einsatz für Harry Wörz der zurzeit in der Vollzugsanstalt Heimsheim einsitzt, ist bemerkenswert: Sie glauben nicht nur intuitiv an Harry, den Kumpel aus der Clique. Sie glauben auch, die Argumente, die zu seiner Verurteilung führten, rational widerlegen oder zumindest so in Frage stellen zu können, dass nur ein Freispruch die adäquate strafrechtliche Antwort auf das sein kann, was sich in jenen frühen Morgenstunden des 29. April 1997 erreignete. Ellenlang ist die Internet-Homepage www.harrywoerz.de die drei seiner Freunde mit Akribie zusammenstellten. Sie beschreiben "die wahre Geschichte", wie sie sich in ihren Augen abgespielt hat, werfen Fragen auf, beantworten sie. Sie legen Fakten dar (unter anderem den Urteilsspruch des Schwurgerichts), stellen Theorien auf. Vieles davon werden sie in einer eigens anberaumten öffentlichen Versammlung im Gräfenhausener Gemeindehaus, Karl-Kircher-Straße 23, am Samstag, 11. November, von 15 Uhr an verlesen, diskutieren. Auch in dieser Hinsicht sprengt der Fall bekannte Dimensionen.

 

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Dienstag, 28. November 2000

Neue Beweiswürdigung durch das Landgericht Karlsruhe

Zivilkammer erkennt kein Motiv für einen Angriff auf die Ehefrau

Im zweiten Verfahren gegen Harry Wörz deutet sich Wende an

Karlsruhe/Birkenfeld (vie). Steht möglicherweise eine Wende im Zivilprozeß gegen den zu elf Jahren Haft verurteilten Harry Wörz im Raum? Den Eindruck konnten die vielen Zuschauer im Schwurgerichtssaal im Karlsruher Landgericht gestern gewinnen. Wie schon mehrfach berichtet, wollen die Eltern der zum Dauerpflegefall gewürgten ehemaligen Polizistin 300 000 Mark Schmerzensgeld von deren ehemaligem Ehemann einklagen. In einem Indizienprozeß war der Installateur und technische Zeichner Harry Wörz im Januar 1998 von der Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Vizepräsident Heinz Hoefer verurteilt worden. Als Motiv sahen die Richter damals die Tatsache, daß die Ehefrau das alleinige Sorgerecht für den damals zweijährigen Sohn haben wollte. Das habe die Toleranzschwelle des als aggressionsarm geltenden Mannes endgültig überschritten.

Ein solches Motiv sah nun jedoch die Zivilkammer unter Vorsitz von Richter Wolf Rüdiger Waetke nach 'inzwischen sechstägiger erneuter Beweisaufnahme nicht. Der ermittelnde Kriminalbeamte wurde vom Vorsitzenden gefragt, warum er unter den drei gleichermaßen verdächtigen Männern - Ehemann, Geliebten, Vater des-Opfers - ausgerechnet auf den Ehemann, Harry Wörz, gekommen sei. Wörz habe so wenig ein Motiv gehabt, wie die beiden anderen.

Die Antwort ergab einen Punktsieg für den Anwalt des Beklagten Harry Wörz, Hubert Gorka. Er beharrte ausdauernd auf einem scheinbaren Nebenkriegsschauplatz, nämlich auf Amphetaminpäckchen, die in einer Zigarettenschachtel am Tatort gefunden worden waren. Diese waren Harry Wörz gezeigt worden, und er hatte gemeint, "solche" habe er schon gesehen, sie seien ihm in einer Karlsruher Disco angeboten worden. Vielleicht seien darauf sogar seine Fingerabdrücke zu finden, falls es sich um eben diese handeln sollte.

Dem Beamten, der jahrelang im Drogendezernat gearbeitet hatte, war die Art der Verpackung und Verschweißung völlig unbekannt, weshalb er Tatverdacht gegen den Ehemann hegte, der "schon vorbeugend seine Fingerabdrücke erklären wollte", wie er sagte. Dem Anwalt, wie auch dem Vorsitzenden Richter waren derartige Päckchen indes offenbar überhaupt nicht fremd. Fingerabdrücke von Wörz wurden nicht darauf festgestellt.

Ein Zeuge sagte aus, eine Polizistin habe ihm bei einer Karnevalsveranstaltung nach Wörz' Verurteilung gesagt, "der Harry war's nicht. Es war der Vater". Eine Aussage, die derselbe Zeuge schon im Schwurgerichtsprozeß gemacht hatte. Der Vater des Opfers überhörte die Aussage schlicht. Ausgewertet werden muß jetzt noch die DNA-Analyse. Auch das Ergebnis des Testes mit dem Lügendetektor steht noch aus.

Melden sollte sich bei Gericht der Zeuge, der gesehen haben will, dass das Fahrzeug von Harry Wörz noch in der Tatnacht (die Nacht zum 29. April 1998) gefunden und untersucht worden sein soll. Davon war bisher nie ausgegangen worden. Zu den Rätseln des Falles gehört auch, daß vom Geliebten der jungen Frau keinerlei Spuren in der Wohnung zu finden waren. Die Verhandlung wird voraussichtlich Mitte Dezember fortgesetzt, der genaue Termin wird noch bekannt gegeben.

 

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Dienstag, 28. November 2000

Weiter warten auf Gen-Test

Harry Wörz' Anwalt richtet erneut schwere Vorwürfe gegen die Kripo - Klarheit durch Gutachten Mitte Dezember?

Karlsruhe/Birkenfeld. Das neue DNA-Gutachten, von dem sich der wegen versuchten Totschlags verurteilte Harry Wörz eine Wende in dem spektakulären Fall verspricht, lässt weiter auf sich warten.

von PZ-Redakteur Olaf Lorch

Wie stets, wenn die achte Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe in Sachen Harry Wörz verhandelt, ist der Schwurgerichtssaal man bringt hier die meisten Zuhörer unter brechend voll. Wem die Sympathien gehören, ist eindeutig auszumachen. Seine Freunde haben nie an die Schuld des 34-jährigen Arbeiters aus Gräfenhausen geglaubt. Doch Harry Wörz wurde vom Karlsruher Schwurgericht im Januar 1998 zu elf Jahren Haft verurteilt. Die Kammer hielt es in dem Aufsehen erregenden Indizienprozess für hinreichend erwiesen, dass Wörz seine in Trennung von ihm lebende Frau Andrea, damals 26, in den frühen Morgenstunden des 29. April 1997 in deren Wohnung fast zu Tode gedrosselt zu haben. Sie ist seither schwerstbehindert. In der Folge strengte ihr Vater in ihrem Namen ein Zivilverfahren an er will 300 000 Mark für sie.

Pikant: Eben diesen Mann, einen ehemaligen Polizisten (wie Andrea und ihr damaliger Geliebter), hält Harrys Anwalt Hubert Gorka selbst für vedächtig. Daran lässt er keinen Zweifel so auch am gestrigen Verhandlungstag nicht. Wolfgang Z. äußert auf der Klägerbank Entrüstung. Muss er nicht hautnah das Siechtum seiner leiblichen Tochter erdulden? Hat er sie nicht aufgefunden, den Täter in die Flucht geschlagen, die Polizei alarmiert?

Warum haben dann seine Kollegen bei der Polizei verschiedene Spuren im Haus und bei Durchsuchungen ignoriert? Warum gaben sie den Tatort so schnell wieder frei? Warum schossen sie sich so schnell auf Harry als Hauptbeschuldigten ein? Fragen, mit denen Harrys Anwalt den Hauptsachbearbeiter der Pforzheimer Kripo löchert bis der Vorsitzende Richter, Wolf-Rüdiger Waetke, die Notbremse zieht: "Das geht zu weit", fährt er dem Anwalt in die Parade, sehr zum Unmut des Publikums. Jedoch nicht ohne ein um das andere Mal zu verhehlen, wie sehr ihm offenkundige Ermittlungsfehler (die auch das Strafgericht rügte) missfallen auf dem Weg zur Wahrheitsfindung zumal in dem Indizienprozess das Motiv "einer Null gleichzusetzen" gewesen seie. Harrys Vater hat man mittlerweile aus dem Zeugenstand entlassen seine Aussage ist an diesem Tag wenig hilfreich, geprägt von Mutmaßungen, Wahrscheinlichkeiten, Schlussfolgerungen, Widersprüchlichkeiten. Nichts, womit ein Gericht zu beeindrucken wäre.

Für und wider

Der Kripomann listet in der Hauptsache vier Argumente auf, die Harry Wörz in seinen Augen zum Kandidaten Nummer eins machten: Es seien keine Einbruchsspuren gefunden worden (die hätte es auch nicht gegeben, wenn der Vater der Täter gewesen wäre); der Liebhaber habe eine Liaison, Harry hingegen eine Scheidung vor sich gehabt; Amphetamintütchen, die der Beamte der Mordkommission Harry zeigte, habe der Verdächtige mit der Bemerkung quittiert, "solche" oder "so ähnliche" verschweißte Tütchen habe er einmal in einem Lokal in Karlsruhe angeboten bekommen ohne diese jedoch angerührt zu haben.

Wer von vorneherein demonstrativ darauf verweise, dass sich an einem Asservat auf keinen Fall seine Fingerabdrücke befinden könnten mache sich eben dadurch verdächtig, kombiniert der Beamte. Außerdem sei ihm trotz Erfahrung im Rauschgiftdezernat die Erscheinungsform solcher Tütchen (an allen Seiten verschweißt) noch nie vorgekommen. Dies ruft nicht nur beim Verteidiger, sondern auch beim Richter heftigstes Stirnrunzeln hervor.

Schließlich die alles entscheidende Spur: ein Plastik-Einweghandschuh, bei dem zwei Fingerlinge fehlen an Harrys einer Hand sind zwei Fingerkuppen amputiert. Die Kripo schlussfolgert: Andrea muss Harry die Fingerlinge im Kampf abgerissen haben. Die DNA-Spuren auf dem Handschuh scheinen den Ermittlern Recht zu geben: Das Landeskriminalamt, so der Kripo-Beamte, habe die Pforzheimer telefonisch vorab informiert, dass Harry Hauptspurenverursacher sei womit der Hauptkommissar den Verdächtigen in der Untersuchungshaft konfrontierrte.

Harrys Reaktion: "Jetzt bin i baff!" Wie hat er das gemeint? War es Verwunderung, dass man ihm auf die Schliche gekommen war? Oder regte er sich über eine Trick der Polizei auf, um ihn zum Reden zu bringen? Für Harrys Freunde besteht kein Zweifel: "Ihr" Mann ist unschuldig.

Letzter Verhandlungstag?

Ein neues Gutachten, bei dem seitens der Uni Bonn auch der genetische Fingerabdruck seines und Andreas Sohns Kai (fünfeinhalb Jahre alt) ins Kalkül gezogen wird, soll in rund zwei Wochen erstellt sein. Dann wird es vermutlich zum letzten Verhandlungstag in der Zivilsache Wörz gegen Wörz kommen.

 

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Dienstag, 13. Februar 2001

Gen-Experte muss nachbessern Wörz-Prozess:

Statistiker kann sich im Wahrscheinlichkeitsgutachten nur auf LKA berufen

Neuer Termin am 5. März

Von PZ-Redakteur Olaf Lorch

Gedulden müssen sich der des versuchten Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilte Harry Wörz, sein Anwalt, seine Freunde und seine Prozessgegner, bis das Zivilgerichtsverfahren vor dem Landgericht Karlsruhe abgeschlossen ist.

Es geht um die winzigsten Spuren der sogenannten genetischen Fingerabdrücke. Die hatten Polizisten in jener Nacht, als Harrys damalige Frau Andrea, 26, am 29. April 1997 am Tatort sichergestellt als in Birkenfeld die 26-jährige Frau fast zu Tode stranguliert wurde und seither schwerst behindert ist (die PZ berichtete mehrfach). Das Material wurde dem Landeskriminalmamt übersandt und diente in der Schwurgerichtsverhandlung als Indiz für die Verurteilung Harry Wörz¬. Aufgrund dieser Untersuchungen sollte Professor Max Baur, Direktor des Instituts für medizinische Biometrie, Informatik und Epidemiologie der Uni Bonn, die Wahrscheinlichkeit herausrechnen, mit denen Harry Wörz, der von Andreas Eltern auf 300000 Mark Schmerzensgeld verklagt wird, als Hauptspurenverursacher infrage kommt.

Bereits zu Beginn des mehrere Stunden dauernden Vortrags machte der Mathematiker und Biostatistiker klar, dass die Suche nach dem Beitrag zur Tatspur keineswegs zwingend die Analogie herleiten lassen müsse, wer der Täter gwesen sei. Gleichzeitig verwies er darauf, dass seine Berechnungen einzig auf der Vorarbeit des Chef-Genetikers des Landeskriminalamts beruhten was am Ende des gestrigen Verhandlungstags fast zwingend dazu führte, dass ein neuer, diesmal vermutlich abschließender Termin gefunden werden musste, an dem das Urteil fällt: Am Montag, 5. März, 9.30 Uhr, wird die achte Zivilkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Richter Wolf-Rüdiger Waetke erneut zusammentreten. Und dann wird der Gen-Gutachter aus Stuttgart erklären müssen, wieviel Aussagekraft eine winzige von sechs verschiedenen Spuren hat, von deren Ergebnis abhängt, ob Wörz bei einer tatrelevanten Spur in Frage kommt oder nicht.

Sollte auf Nachfrage ausgeschlossen werden können, dass Wörz der Verursacher war, bräche in diesem Punkt das Ergebnis der Wahrscheinlichkeitsrechnung 94 Prozent zusammen: ein Pluspunkt für Rechtsanwalt Hubert Gorka (Karlsruhe). Der lässt nichts unversucht, die theoretische Möglichkeit eines unbekannten Dritten ins Spiel zu bringen, der die schreckliche Tat verübt haben könnte.

Unzweifelhaft fest steht nach der Untersuchung des LKA und der biostatistischen Überprüfung der gelieferten Daten, dass sowohl zwei Polizisten als auch Andreas Vater als Spurenverursacher nicht in Frage kommen nur Harry, Andrea und ihr gemeinsamer Sohn Kai, der mitbekommen haben muss, wer seine Mutter fast umbrachte. Seine Aussagen hingegen sind nicht gerichtsverwertbar. Auch das Zivilverfahren ist ein reiner Indizienprozess. Beobachter treibt die Frage nach der nochmaligen zeitlichen Ausdehnung um: ein gutes Zeichen weil es die Zweifel des Gerichts zu offenbaren scheint? Zweifel, die augenscheinlich größer sind als die, die die Strafkammer hegte? Oder ist es einfach das größtmögliche Bemühen, jede noch so kleine Spur zugunsten des Beklagten ausgelotet zu haben für den Fall, dass Harry Wörz' Freunde erneut Grund zur Trauer haben? Diese ließen in der Vergangenheit nichts unversucht, für die tatsächliche oder vermeintliche Unschuld ihres Kumpels zu trommeln. Der musste sich gestern auch dafür rechtfertigen, dass er einen Kassiber aus der Untersuchungshaft schmuggeln lassen wollte, auf dem stand: "Wenn sie sagt, ich wäre es geweesen, bin ich für Jahre im Knast." Gemeint war Andrea. Doch es sei, so Wörz, nur eine Replik gewesen auf die Vorhaltung eines Polizisten für den Fall seiner Schuld.

Wenn die Klage abgeschmettert werden sollte, dürfte der (äußerst seltenen) Wiederaufnahme eines Schwurgerichtsverfahrens nichts mehr im Weg stehen.

 

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Donnerstag, den 15.02.2001

Experte: Doppelt getestet hält besser

Chef der Rechtsmediziner plädiert für zweites Gen-Gutachten in brisanten Fällen

Wasser auf Harry Wörz' Mühlen

von Pz-Redakteur Olaf Lorch

 

Auf ungeteilte Zustimmung stößt bei Dr.Hubert Gorka, Rechtsanwalt von Harry Wörz, eine Forderung von Deutschlands oberstem Gerichtsmediziner in Sachen "genetischer Fingerabdruck": Zumindest in herausragenden Fällen, so Professor Bernd Brinkmann (Münster), sei ein zweites DNA-Gutachten notwendig, wenn darauf ein Urteil basiere. Genau dies war im Strafverfahren gegen Harry Wörz der Fall, als ihn die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Karlsruhe wegen versuchten Mordes zu elf Jahren Haft verurteilte.

Das Gutachten wurde, wie in Baden-Württemberg üblich, nicht von einem freien Labor, sondern vom Landeskriminalamt erstellt. Und diese Behörde ist nun auch wieder im Zivilverfahren gefragt, in dem es um 300000 Mark Schmerzensgeld geht. Die Summe beanspruchen die Eltern des Opfers für sich.

Es geht um die gleichen Spuren, um ihre Auswertung, den Ein- oder Ausschluss von Spurenverursachern und statistische Wahrscheinlichkeiten (die PZ berichtete). Die Gefahr eines Fehlers bei der Gen-Analyse, so Brinkmann, sei zwar sehr gering, aber nicht völlig auszuschließen. Immerhin fänden zur Qualitätskontrolle seit Jahren groß angelegte Ringversuche statt. Die Fehlerquote bewegt sich laut Brinkmann mit drei Fehlern bei 3500 Einzelanalysen im Promillebereich. Von 60 teilnehmenden Labors hätten 58 absolut fehlerfrei gearbeitet.

Der "genetische Fingerabdruck" sei zwar das "effizienteste Werkzeug beim Sachbeweis" geworden. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin vertritt die These, genau aus diesem Grund müssten höchste Anforderungen an die Sorgfalt gestellt werden. Auch wenn nur ein Fehler pro 10000 Untersuchungen vorkommen sollte, sei ein Zweitgutachten sinnvoll.

Im baden-württembergischen Justizministerium verlautet hierzu auf Anfrage, man wolle und könne es seitens des Gesetzgebers keinem Richter vorschreiben, welche und gegebenfalls wieviele Gutachten er einzuholen gedenke. Denn dies, so Ministeriumssprecher Andreas Singer, sei ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit. Im übrigen habe jeder Verteidiger die Möglichkeit, einem ersten missliebigen Gutachten ein zweites folgen zu lassen.

Da ist der Karlsruher Jurist Gorka anderer Auffassung: Der Experte des Landeskriminalamts habe im Schwurgerichtsverfahren dermaßen überzeugend argumentiert, dass man seitens der Verteidigung gar nicht auf die Idee gekommen sei, das Gutachten in Frage zu stellen. Erst nach und nach hätten sich im Laufe der Jahre bohrende Zweifel ergeben. Hätte bereits damals zwingend eine Vergleichs-Expertise angefertigt werden müssen, wäre vielleicht vieles anders verlaufen. Ist natürlich auch eine Frage des Geldes: Eine solche aufwendigeLabor-Untersuchung kostet locker einen fünfstelligen Betrag.

Brinkmann dient mit vielen anderen Praktikern der "Zeit"-Reporterin und Schriftstellerin Sabine Rückert als Kronzeuge für die Theorie, jeder zweite Mord bleibe in Deutschland unentdeckt. "Tote haben keine Lobby" (die PZ berichtete) ist ein brisanter Report über die Misere der Rechtssicherheit in Deutschland.

 

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Dienstag, den 06. März 2001, Pforzheimer Zeitung

Fragezeichen hinter Gen-Beweis

Abschluß der Zivilverhandlung in Sachen Harry Wörz - Urteil am 6. April - Anwalt geht in die Offensive

Von PZ-Redakteur Olaf Lorch

BIRKENFELD/KARLSRUHE. Jeder im Saal hat noch die Worte des ehemaligen Schwurgerichtskammer-Vorsitzenden Heinz Hoefer im Ohr: Weil aufgrund des DNA-Gutachtens andere potentielle Tatverdächtige auszuschließen waren, mußte Harry Wörz der Schuldige sein - schuldig, seine damalige Frau und Mutter des gemeinsamen fünfjährigen Sohnes Kai, fast zu Tode stranguliert zu haben. Elf Jahre wegen versuchten Mordes, lautete der Spruch des Karlsruher Landgerichts.

Der gleiche Saal, wieder sind die Plätze restlos belegt. Wieder geht es um den "genetischen Fingerabdruck". Doch das Gericht ist ein anderes es ist die achte Zivilkammer, vor der Andreas Eltern 300.000 Mark Schmerzensgeld erstreiten wollen. Und den ganzen gestrigen Vormittag löchern die drei Berufsrichter unter Vorsitz von Wolf-Rüdiger Waetke den Gutachter des Landeskriminalamts, bohren nach, klopfen ab, schließen Mißverständnisse aus, halten per Tonband fest: Was die Polizei dem LKA zur Untersuchung übergab in erster Linie geht es um zwei abgerissene Fingerlinge eines Einweghandschuhs, offenbarte nur geringe Spuren. Wenn, wie bei einer Spur, lediglich ein genetisches Merkmal fehle, sei nicht auszuschließen, daß es sich um einen Spurenleger handle.

Aber: Bei keinem - auch nicht bei den anderen in Frage kommenden Männern - sei auszuschließen, daß er je mit dem betreffenden Gegenstand in Kontakt gekommen sei. Im übrigen könne die Spur schon mehrere Jahre alt sein so lange hält sich der Hautabrieb in einem Handschuh. Am Ende bleiben mehr Fragen als Antworten.

Nur Sohn war Zeuge

Für Susanne B., Anwältin von Andreas Vater, steht nach der Einvernahme der Sachverständigen, wie im Schwurgerichtsverfahren, fest: Harry Wörz hat seine Frau, die ein Verhältnis mit einem anderen Mann hatte, stranguliert. Nur der gemeinsame Sohn Kai war Zeuge allerdings ein im juristischen Sinne unbrauchbarer. So zählen nur die genetischen Spuren und die wiesen eindeutig auf Wörz.

Gänzlich anders sieht dessen Anwalt Hubert Gorka das Tatgeschehen und die Beweiswürdigung: Im DNA-Gutachten sieht er genügend Fragezeichen, die eine Täterschaft nicht zwingend erscheinen ließen. Ein Ausrufezeichen sei hingegen das (freiwillige) Lügendetektor-Gutachten von Wörz durch den renommierten Glaubwürdigkeits-"Papst" Professor Udo Undeutsch. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit handle es sich bei Harry Wörz nicht um den Täter, lautet die Expertise.

Wo sind die Tagebücher?

Gorka geht sogar noch einen Schritt weiter, wagt sich in die Offensive. Er will beim Gericht nicht nur Zweifel an der angenommenen Schuld seines Mandanten wecken er versucht auch, das Bild eines Alternativtäters immer schärfer zu projizieren: Andreas Vater. Dieser habe die Karten nicht auf den Tisch gelegt. Wo seien der überwiegende Teil von Andreas Tagebüchern, die eventuell Rückschlüsse auf das Verhältnis von Vater und Tochter zuließen? Nicht herausgerückt. Was sei mit Tüten voller Bargeld, deren Herkunft Andreas Vater nicht erklären könne? Und warum durften sowohl der Vater des Opfers als auch ihr Liebhaber kurze Zeit nach der Tat an den Tatort? Etwa, weil sie Polizisten waren, und die Pforzheimer Polizei die Ermittlungen führte statt einer unbefangenen, übergeordneten Dienststelle?

Die Richter werden sich einen Monat Zeit lassen mit dem Abwägen der Argumente. Das Urteil wird am Freitag, 6. April, von 9 Uhr an verkündet.

 

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Dienstag, den 06. März 2001, Enztäler

Bringen Spuren des Zweifels Wörz-Verurteilung ins Wanken?

Gutachter betritt im Prozeß "genetisches Neuland"

Von unserem Redaktionsmitglied Armin Guzy

Karlsruhe/Gräfenhausen. Im Zweifel für - oder gegen wen? Welche Beweiskraft hat ein Gutachten, das niemanden als Spurenverursacher wirklich ausschließt, einen der Verursacher aber mit höherer Wahrscheinlichkeit als Tatverdächtigen erscheinen läßt? Mit dieser fast rechtsphilosophischen Frage mußte sich gestern im Fall Harry Wörz einmal mehr das Landgericht Karlsruhe beschäftigen.

"Letztlich ist es eine Frage der Wahrscheinlichkeiten" meinte der Vorsitzende Richter Waetke nach den Ausführungen des Gutachters vom Landeskriminalamt. Demnach kann eine der analysierten Spuren vom- Tatort nicht zweifelsfrei dem Angeklagten zugeordnet werden, weil eines der sechs Vergleichsmerkmale auf dem genetischen Abschnitt fehlt. Andererseits sind aber für die Übereinstimmung mit anderen Spurengebern noch weniger Merkmale vorhanden. Damit kommt Harry Wörz nach Ansicht des Gutachters als Spurengeber mit einer Wahrscheinlichkeit von l zu 4.000 in Frage. Andere potentielle Tatverdächtige seien dagegen ausschließen, weil eine Aussage bei zwei fehlenden Merkmalen zu spekulativ sei, so der Gutachter.

Das Problem, daß die genetischen Spuren nicht komplett sind, rührt daher, daß vermutlich Hautschuppen in den am Tatort gefundenen Fingerlingen die Lieferanten des Erbgutes sind. In dem Beweismittel wurde genetisches Material von mindestens vier Personen gefunden. Doch die Qualität dieses Materials ist wesentlich schlechter als Erbgut, das direkt aus dem Blut isoliert wird. "Wenn die Menge an Spurenmaterial zu gering ist, können einzelne Merkmale ganz fehlen", räumte der Gutachter ein. So ist es auch im Fall Wörz und hat zur Folge, daß er eben nicht absolut zweifelsfrei als Spurengeber in Frage kommt.

Die Frage der Richter war gestern, wo die Grenze zwischen Wissenschaft und Spekulation verläuft und ob die Grenze, die der Gutachter zieht, nicht willkürlich gezogen wird. Denn Wörz war vom Schwurgericht hauptsächlich deshalb verurteilt worden, weil er in einer Art Ausschlussverfahren am Ende der einzige Verdächtige war, der übrig blieb.

Ob dieses Vorgäben für eine Verurteilung ausreichen kann, konnte gestern nicht geklärt werden. Der Gutachter räumte ein, daß die Bewertung In einem solchen Fall "Neuland" sei. Doch auch der Kreis seiner Kollegen sei der Ansicht, diese Grenze so ziehen zu können.

Die Richter haften sichtlich Mühe, die Antworten des Gutachters als eindeutig einzustufen. Hinzu kam, daß der Gutachter sich gestern bei den schriftlichen Ausführungen anderer Begriffe bediente, als beim Gutachten im ersten Prozeß. Das Gericht bestand offensichtlich aus diesem Grund bei einigen kritischen Punkten auf eine Tonbandaufzeichnung der Gutachterantworten.

Der Verteidiger von Harry Wörz betonte in seinem Schlussplädoyer nochmals, daß es eine ganze Reihe von "Merkwürdigkeiten" gegeben habe, und auch bei den anderen zunächst Verdächtigen ein Motiv angenommen werden könne. Es gäbe sogar Indizien beim Verhalten nach der Tat, die "andere Personen" weit stärker belasteten, als den Angeklagten, führte der Verteidiger aus. Zwei der Verdächtigten hätten schon kurz nach der Tat Zugang zum Tatort gehabt, weil sie Polizisten sind. "Jeder Zweifel spricht zu Gunsten Harry Wörz."

Sollte das Gericht zu dem Schluß kommen, daß die vorliegenden Beweise nicht für eine Verurteilung ausreichen, dann könnte auch das gesamte frühere Verfahren wieder aufgerollt werden. Für die bisher fast unerschütterliche Beweiskraft des "genetischen Fingerabdrucks" vor Gericht wäre ein solches Urteil ein herber Rückschlag, der bundesweit für Aufsehen sorgen würde.

Das Urteil des Landgerichtes in diesem Zivilprozess wird am 6. April verkündet.

 

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Dienstag, den 06. März 2001, Pforzheimer Kurier

Zivilverfahren gegen Harry Wörz aus Gräfenhausen

Das DNA-Gutachten beruht auf geringfügigem Material

Anwälte deuten Spurenlage nach wie vor verschieden

Birkenfeld/Karlsruhe (vie). Könnte es sein, daß das DNA-Gutachten, das Januar 1998 zur Verurteilung von Harry Wörz aus Gräfenhausen zumindest mitursächlich war, von der Schwurgerichtskammer damals falsch verstanden wurde? Gestern im Zivilprozeß, den die Eltern der schwerst geschädigten Exehefrau von Wörz anstrengten, um ein Schmerzensgeld von 300 000 Mark zu bekommen, erläuterte der erste Gutachter nochmals seine Erkenntnisse. Dreh- und Angelpunkt sind zwei abgerissene Fingerlinge von Einweghandschuhen. Der eine wurde beim Bett der jungen Frau gefunden, wo sie am 29. April 1997 bis zur Besinnungslosigkeit gewürgt wurde, der andere lag unter ihr im Flur, wohin sie der Täter geschleppt hatte und wo sie ihr Vater leblos fand. Wer diese Handschuhe trug, muß auch der Täter sein, war damals die Überzeugung des Schwurgerichts und ist offensichtlich auch heute die Überzeugung der Zivilkammer unter Vorsitz von Richter Wolf Rüdiger Waetke. Die Frage ist nur: War der Täter Harry Wörz? Er selbst bestritt es immer.

Wie der Sachverständige vom Landeskriminalamt darlegte, war das Spurenmaterial, Hautpartikel nämlich, gering. In einem Fingerling wurden, fünf von sechs Merkmalen von Harry Wörz gefunden. Eines fehlte. Eigentlich ein Grund, Wörz als Täter auszuschließen, wie Vorsitzender Waetke bei der vorletzten Verhandlung mühsam aus dem Nachgutachter herausfragte. Es könnte so sein, hatte dieser am 12. Februar vorsichtig gesagt. Der erste Gutachter, Dr. Förster, konnte gestern klarmachen, warum er Wörz nicht ausgeschlossen hatte: Das Material war so gering, daß dieses eine Merkmal nicht nachgewiesen werden konnte. Im zweiten Fingerling aber konnten alle Merkmale nachgewiesen werden.

Dennoch scheint keine letzte Sicherheit zu bestehen. Auch ein anderer könnte die Handschuhe zumindest in der Hand gehabt, aber weniger Spuren hinterlassen haben. Zumal Harry Wörz sagt, es sei durchaus möglich, daß er die Handschuhe irgendwann getragen habe. Bei der Arbeit trug er ständig derartige Handschuhe, wie übereinstimmende Zeugenaussagen lauten. Außerdem hatte er seiner Frau in deren neuer Wohnung noch geholfen, ebenso, wie er im Garten mitgearbeitet hatte. Wie alt die Spuren in den Handschuhen sind, läßt sich nicht feststellen.

Die Plädoyers der Rechtsanwälte des Opfers, das durch die Attacke zum artikulationsunfähigen Pflegefall geworden ist, waren kurz: Für Rechtsanwältin Susanne B. bestätigte die Verhandlung das Urteil des Schwurgerichts. Die Fingerlinge seien Harry Wörz im Kampf mit seiner Frau abgerissen worden. Er habe sie in diesen beklagenswerten Zustand versetzt und müsse daher auch bezahlen.

Dr. Hubert Gorka, Anwalt des Beklagten, schlug ein Vexierbild vor: Vieles, was gegen seinen Mandanten spreche, ließe sich auch anders ansehen: Ohne eine Person zu nennen, entwarf er das Bild eines Menschen, der in der fraglichen Nacht am Tatort war und - im Gegensatz zu seinem Mandanten - Gelegenheit gehabt habe, Spuren zu verwischen. Seltsamerweise seien auch keinerlei Fingerabdrücke vom Freund des Opfers in der Wohnung gefunden worden. Für die ermittelnden Beamten habe sich nie der Verdacht auf ihre Kollegen (Vater und Freund des Opfers) gerichtet. Er bat, dem Gutachten des Gerichtspsychologen Professor Dr. Udo Undeutsch zu folgen, der nach einem Test mit dem Lügendetektor zur Auffassung gekommen war, Wörz sei "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" nicht der Täter. Der Gerichtsbeschluß soll am 6. April um 9 Uhr verkündet werden.

 

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ARTIKEL ZUM 06.04.2001 FINDEN SIE UNTER "PRESSESTIMMEN ZUM 6.4.2001"

 

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Freitag, den 05.07.2001, Pforzheimer Zeitung

Bürger stellen sich vor Kamera hinter Wörz

von PZ-Redakteur Olaf Lorch

Nichts unversucht lassen die Freunde des wegen versuchten Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilten Gräfenhauseners Harry Wörz, um auf seinen Fall aufmerksam zu machen. Auf der medialen Schiene bemühen sie sich mittlerweile erfolgreich , die Aufmerksamkeit von Printmedien und Fernsehen zu gewinnen.
Vor einigen Wochen fing eine große deutsche Illustrierte die Stimmung in der Enzkreisgemeinde ein. Nun riefen Pfarrer Peter Knop und "Freundeskreis"-Chef Guido Kröger die Parole aus: "Das ZDF kommt, kommen Sie auch". Tatsächlich kamen vorgestern Abend rund 300 Menschen zusammen und gaben Regisseur Gunther Scholz bereitwillig Auskunft.
Tenor: Wörz sei unschuldig am versuchten Tötungsdelikt an seiner damaligen Frau Andrea. "Diese Bürgermanifestation ist ganz erstaunlich", so der renommierte Filmemacher gegenüber der PZ. Scholz dreht einen 45-minütigen Dokumentarstreifen über den Fall Wörz. Sein Team wird voraussichtlich auch bei der fünften "Brother-in-Jail-Party" morgen, 20 Uhr, auf dem Platz des Jugendzentrums in Schwann, anwesend sein. Sendetermin ist voraussichtlich August oder September.
Parallel zum Medien-Rummel verfolgt Wörz-Anwalt Hubert Gorka (Karlsruhe) beharrlich seine strafprozessuale Strategie: Er strebt vor dem Landgericht Mannheim eine Wiederaufnahme des Verfahrens an. Über 60 Seiten umfasst seine Begründung.
Zur Erinnerung: Wörz war vom Karlsruher Schwurgericht zu elf Jahren Haft verurteilt worden doch die achte Zivilkammer wies eine Schmerzensgeldklage der Eltern von Wörz Ex-Frau ab, weil sie von der Schuld des Gräfenhauseners nicht überzeugt waren. 17 einzelne neue Tatsachen will Gorka geltend mache. Derzeit verzögert sich der Zeitplan der Mannheimer aus Gründen der Arbeitsüberlastung wegen Mordes und Totschlags in der Quadratestadt.

 

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Freitag, den 07.09.2001, Pforzheimer Zeitung

Anwalt will kämpfen

Fall Wörz geht möglicherweise bis vor Bundesgerichtshof

KARLSRUHE/BIRKENFELD. "Ein starkes Stück" hat sich die Staatsanwaltschaft Mannheim in ihrer Ablehnung des Wiederaufnahmeantrags für das Verfahren von Harry Wörz geleistet, das befindet zumindest Wörz Anwalt Hubert Gorka aus Karlsruhe. Die zuständige Kammer des Landgerichts hatte für ihre noch ausstehende Entscheidung eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft angefordert (die PZ berichtete). Die "hanebüchene Erklärung" kann aus der Sicht von Gorka nur zwei Ursachen haben: "Entweder hat der Oberstaatsanwalt die Akten nicht gesehen oder nicht gelesen."
In der Begründung für die Ablehnung werde argumentiert, es gebe keine neuen Tatsachen oder Beweise aber nur dies würde eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Wörz rechtfertigen, der wegen versuchten Totschlags zu einer Haftstrafe von elf Jahren verurteilt worden war. Gorka dagegen argumentiert, in seinem Wiederaufnahmeantrag seien insgesamt 17 neue Tatsachen genannt. Dies werde von der Staatsanwaltschaft Mannheim auch nicht bestritten. Dort halte man aber dagegen, dass die neuen Gesichtspunkte nicht so tragfähig seien, als dass für Wörz in einer neuen Verhandlung ein Freispruch in Frage käme.
Die bekanntermaßen mit Arbeit überlastete Kammer des Landgerichts Mannheim wird Ende September, spätestens Anfang Oktober, über den Antrag beschließen, erwartet Gorka. Gegen eine Ablehnung werde er sofort Rechtsmittel beim Oberlandesgericht einlegen; gleiches habe die Staatsanwaltschaft Mannheim angekündigt für den Fall, dass sie mit ihrer Position unterliegen sollte.
Mittlerweile arbeitet Gorka nach eigenen Angaben allerdings bereits an einer Eingabe an den Bundesgerichtshof. Dort eine Verfahrenswiederaufnahne durchzusetzen, sei zwar schwierig, aber man ist offenbar bereit, den Rechtsweg voll auszuschöpfen. Währenddessen sitzt Wörz weiter seine Haftstrafe ab. Seine Karten für eine vorzeitige Entlassung nach zwei Dritteln der Haftzeit, also in gut drei Jahren, stehen übrigens ganz schlecht. Wohl lässt sich der Häftling in Heimsheim nichts zu Schulden kommen. Allerdings bestreitet er bis heute, seine Lebensgefährtin beinahe zu Tode gewürgt zu haben. Damit gilt er juristisch als uneinsichtig und damit kommt auch eine Verkürzung der Haftzeit zur Bewährung nicht in Frage.

 

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Dienstag, den 09.10.2001, BILD

Pforzheim

Polizistin nach Mordversuch Pflegefall

von BILD-Redakteurin Alexandra von Unger

Sitzt Unschuldiger in Haft?

Justizvollzugsanstalt Heimsheim, Block Süd, Zelle 33. Seit vier Jahren sitzt hier Installateur Harry Wörz (35) ein. Verurteilt zu 11 Jahren Haft, weil er seine Frau, eine Polizistin, so gewürgt haben soll, dass sie jetzt ein Pflegefall ist. Doch nun prüft das Oberlandesgericht Karlsruhe, ob der Fall nochmal aufgerollt wird.
Sitzt ein Unschuldiger in Haft?
Harry Wörz aus Gräfenhausen (b. Pforzheim) hatte 1994 Polizistin Andrea (30) geheiratet. Doch sie verliebte sich in einen Kollegen. zog weg. Dann diese Nacht zum 29. April 1997. Andreas Vater, Wolfgang Z. (auch Polizist) hörte Lärm in der Wohnung der Tochter. Im Verhör gab er an, sofort nach oben gerannt zu sein. Dort sei die junge Frau im Flur gelegen, mit einem Schal um den Hals, fast erwürgt. Sie ist seitdem ein Pflegefall.
Für das Landgericht Karlsruhe war klar: Der Täter kann nur Harry Wörz sein. Harry's Anwalt, Dr. Hubert Gorka (36) und das Zivilgericht, das über die Schmerzensgeldfrage entscheiden musste, sehen's anders. Der Zivilrichter wies die Schmerzensgeldklage gegen Harry Wörz ab. Grund: Ungereimtheiten bei den Ermittlungen. Tenor der Urteilsbegründung: Würde der Satz "im Zweifel für den Angeklagten" ernst genommen, wäre Harry Wörz ein freier Mann. Gorka: "Das OLG muss jetzt prüfen, ob der Fall noch einmal aufgerollt wird, es zum neuen Prozess kommt." Übrigens: Eine Dokumentation über den Fall sendet das ZDF am 16. Oktober, 22.45 Uhr.

 

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Dienstag, den 16.10.2001, Pforzheimer Zeitung

Der Fall Wörz im ZDF

Reportage wird heute im Fernsehen gesendet

BIRKENFELD-GRÄFENHAUSEN. Was ist in der Nacht des 28. April 1997 passiert? Die junge Polizistin Andrea Z. wurde in ihrer Wohnung so lange gewürgt, bis sie bewusstlos war. Die 31-Jährige lebt heute im Rollstuhl, hat irreparable Schäden im Gehirn den Namen des Täters kann sie nicht mehr nennen. Verurteilt hat man ihren Ex-Mann, den Bauzeichner Harry Wörz umstrittene Indizien gaben den Ausschlag.
Die ZDF-Dokumentation "Kein Alibi für Harry W." greift am heutigen Dienstag, 16. Oktober, 22.45 Uhr diesen Fall auf. Zur Tatzeit lebte Harry Wörz schon ein Jahr von Andrea Z. getrennt. Er gibt an, er sei an dem Tatabend gegen 22.30 Uhr schlafen gegangen, habe das Haus nicht mehr verlassen. Zeugen hat er keine es gibt kein Alibi für Wörz. Der gemeinsame Sohn Kai war damals zwei Jahre alt und hat die Tat gesehen. Doch bei der Aufklärung des Falls kann er nicht helfen, da sich die Gutachter sicher sind, dass der Junge keine präzisen Erinnerungen mehr haben kann. Die Polizei muss inzwischen einräumen, dass es bei den Ermittlungen Fehler gab. Das ist von besonderer Bedeutung, denn Andrea Z., ihr Geliebter und ihr Vater, der seine Tochter fand, waren allesamt Polizisten. Die Pforzheimer Kripo ermittelte also gegen ihre eigenen Kollegen. In der Öffentlichkeit löste das erhebliche Zweifel aus.
Anfang 1998 wurde Harry Wörz in einem Indizienprozess wegen versuchten Totschlags verurteilt. Ein Motiv fand das Gericht nicht, vier umstrittene Indizien reichten aus, um Harry Wörz für elf Jahre hinter Gitter zu bringen. Danach starteten seine Freunde eine Kampagne, recherchierten Hintergründe aus ihrer Sicht, ermittelten neue Gesichtspunkte, richteten für ihren Kumpel eine Homepage ein.
Auch viele Menschen aus Gräfenhausen, dem Heimatort von Harry Wörz, stehen hinter ihm. Über 10000 Mark haben sie gesammelt, um ihn zu unterstützen. Im Jahr 2000 folgte noch ein Zivilprozess gegen Harry Wörz. 300.000 Mark Schadenersatz sollte er an seine Ex-Frau Andrea zahlen. Alle Indizien wurden überprüft, am Ende wies der Richter die Klage ab. Das Zivilgericht war von der Täterschaft des Harry Wörz nicht überzeugt. Dieses Urteil machte ihm Mut: Er beantragte eine Wiederaufnahme seines Strafverfahrens. Doch im Herbst lehnte das Landgericht Mannheim diese Wiederaufnahme ab.
Nach "Es geschah beim Schützenfest" (Deutscher Fernsehpreis 2000) eine weitere berührende Geschichte des Berliner Filmemachers Gunther Scholz über ein fragwürdiges Urteil und einen Mann, der vielleicht zu Unrecht im Gefängnis sitzt. Weitere aktuelle Informationen auf der Homepage des Freundeskreises von Harry Wörz: http://www.harrywoerz.de

 

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Mittwoch, den 17.10.2001, Pforzheimer Zeitung

"Im Fernsehn nichts Neues"

von PZ-Redakteur Holger Knöferl

Da überlebt eine junge, lebenslustige Frau ein Gewaltverbrechen nur knapp und leidet heute unter schwersten Behinderungen. Da muss ihr Mann ins Gefängnis, verurteilt wegen versuchten Totschlages zu einer Haftstrafe von elf Jahren. Da ermitteln Kripo-Beamte, die allesamt Kollegen des Opfers und seiner Familie sind. Und: Mit Harry Wörz sitzt einer hinter Gittern, der bis heute seine Unschuld beteuert. Hätte die Geschichte ein belegbares Ende - sie würde zum Kriminalfilm taugen. Weil aber hinter den Birkenfelder Geschehnissen in der Nacht zum 28. April 1997 bis heute zu viele Fragezeichen stehen, hat sich der Berliner Filmemacher Günther Scholz für eine Reportage entschieden: „Kein Alibi für Harry W" war gestern Abend im ZDF zu sehen.

„Ich bin unschuldig"

Gezeigt hat Scholz die vielen Gesichter, die in dieser Geschichte im Mittelpunkt - und hinter Harry Wörz -stehen: die heute behinderte Andrea Z. im Rollstuhl, durch die wärmende Sommersonne geschoben von ihrer Mutter. Den heute sechsjährigen Kai, Sohn von Andrea Z. und Harry Wörz, der beim Fußball spielen auf den Betrachter den Eindruck eines unbeschwerten Kindes macht - obwohl er als Zweijähriger als Einziger gesehen haben soll, wer seine Mutter zu Tode würgen wollte. Das Publikum blickte auch in die dunklen, ruhigen Augen von Harry Wörz in seiner Zelle im Heimsheimer Gefängnis. „Hier leb' ich", sagt er in die Kamera und zeigt auf den Boden, „das da sind meine Akten." Und: „Ich bin unschuldig." Ohne erkennbare Verbitterung sagt er das, aber bestimmt - und man möchte ihm glauben.
Die Gräfenhausener Bürger lässt Scholz zu Wort kommen, allen voran ihren Pfarrer Knop - er ist so etwas wie die institutionelle Speerspitze des Lagers, aus dessen Sicht Harry Wörz auf Grund eines Fehlurteils für elf Jähre ins Gefängnis musste. Aber es sind noch mehr, die für Wörz kämpfen. Seine Motorradfreunde sind engagiert, allen voran Guido Kröger, und auch er lässt an Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft bekanntlich kein gutes Haar.
Die ganzen Kritikpunkte an dem Urteil, das Wörz auf der Basis von Indizien für elf Jahre hinter Gitter bringt - Scholz hat sie alle noch einmal zusammengetragen. Angefangen von den Handschuh-Teilen, die wie bei einer Schnitzeljagd vom Tatort in Birkenfeld zur Wörz-Wohnung nach Gräfenhausen führen, über Ungereimtheiten bei der Alarmierung der Rettungskräfte durch den Vater des Opfers bis hin zu den Schlampereien bei den Ermittlungen, bei denen wichtige Spuren am Tatort verloren gehen und einfachste Überprüfungen angeblich nicht vorgenommen worden sind. „Für die war von vornherein klar, dass ich es war", sagt Wörz - und im Film wird ihm nicht widersprochen. Das tut nicht einmal der Leiter der Kriminalpolizei. Der verweigert mit dem Hinweis auf das zur Zeit der Filmaufnahmen noch laufende Wiederaufnahme-Verfahren höflich aber bestimmt eine Stellungnahme vor der Kamera. Ein Maulkorb? So jedenfalls muss sich die Polizei im Femsehen von Wörz bescheinigen lassen: „Hätten die richtig ermittelt, wäre ich nicht da." Ob das so ist - die Antwort auf diese entscheidende Frage bleibt indessen auch Filmemacher Scholz schuldig. Neue Gesichtspunkte für den Fall Wörz haben auch seine Recherchen nicht zu Tage gefördert Was Scholz schildert, ist zwar dem überregionalen Publikum nicht bekannt und rechtfertigt damit sicher das öffentliche Interesse am Fall des Harry Wörz. Doch was er schildert, findet sich auch im Wiederaufnahmeantrag, mit dem Wörz-Anwalt Hubert Gorka zumindest im ersten Anlauf vor dem Landgericht Mannheim gescheitert ist.
Scholz' Arbeit zeigt auch, dass jene, die an die Schuld von Worz glauben, keine Lobby haben. Sie kommen in dem 45 Minuten langen Beitrag nicht zu Wort - möglicherweise auch deshalb, weil sie sich nicht mehr in die Öffentlichkeit trauen, nachdem die, die hinter Harry Wörz stehen, sukzessive eine sehr starke Position aufgebaut haben.

Eine dumpfe Ahnung

Scholz' Reportage lässt den Zuschauer mit der dumpfen Ahnung zurück, hier könnte jemand zu Unrecht die besten Jahre seines Lebens hinter Gitter geschickt worden sein. „Zu Unrecht" könnte in diesem Fall zumindest heißen, dass seine Schuld nicht hinreichend bewiesen ist - was nach deutschen Rechtsgrundsätzen eben für den Angeklagten spricht und zu einer Ablehnung der Zivilklage auf Schadenersatz gegen Worz geführt hat.
Wer sich in der Region unvoreingenommen mit dem Fall auseinander gesetzt hat, der wird jetzt erst Recht weiter rätseln, ob der Täter der Nacht vom 28. April 1997 bis heute unbestraft auf freiem Fuß lebt und die deutsche Justiz einen furchtbaren" Fehler begangen hat Bewiesen hat Reporter Scholz indessen nur eines - den Titel seines Films: „Kein Alibi für Harry W" Sonst gar nichts.

 

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Samstag, den 03.11.2001, Pforzheimer Zeitung

Unterschriften für Wörz an Ministerium

von PZ-Redakteur Olaf Lorch

Der Freundeskreis des wegen versuchten Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilten Gräfenhauseners Harry Wörz hat gestern auf dem Karlsruher Marktplatz für eine Wiederaufnahme des Verfahrens demonstriert. Mehrere Stunden lang harrten die Kumpels von Wörz rund um die Pyramide aus. Guido Kröger, Hauptverantwortlicher des Freundeskreises, schätzte gegenüber der PZ die Zahl der Teilnehmer auf insgesamt 300. Eine Unterschriftenliste mit den Namen der Befürworter einer Wiederaufnahme des Prozesses wird in den nächsten Tagen Justizminister Ulrich Goll zugehen. Im Ministerium wird aufmerksam registriert, wie die Justiz in Sachen Wörz reagiert. Man hüte sich, heißt es aus Stuttgart, in die Unabhängigkeit der Gerichte hineinzuregieren und hält sich mit Kommentaren zurück denn noch läuft das Verfahren. Nachdem die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Mannheim ein Wiederaufnahmeverfahren abgeschmettert hatte, weil es in der Begründung von Wörz-Anwalt Hubert Gorka (Karlsruhe) keine neuen Tatsachenbeweise erkennen mochte, hatte Gorka Widerspruch eingelegt. Über die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe sind am vergangenen Donnerstag die Gründe, die in den Augen des Anwalts für eine Wiederaufnahme sprechen, ans Oberlandesgericht Karlsruhe weitergeleitet worden. Da es sich bei Harry Wörz um eine Haftsache handelt seit April 1997 sitzt Wörz in Untersuchungs- beziehungsweise Strafhaft), ist noch vor Jahresende mit einer Entscheidung zu rechnen. Die Demonstranten machten sich auch für einen Gesetzesentwurf stark, der es untersagt, dass die gleiche Polizeidienststelle einen Fall bearbeiten darf, in den Beamte eben dieser Einheit verwickelt sind.

 

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Montag, den 05.11.2001, BILD

Stuttgarter Polizistin nach Mordversuch für immer im Rollstuhl

Von BILD-Redakteurin Alexandra v. Unger

Der Fall Harry Wörz (35). Seit vier Jahren sitzt der Installateur im Gefängnis in Heimsheim ein. Verurteilt zu 11 Jahren Haft, weil er seine Ex-Frau, die Stuttgarter Polizistin Andrea (30), mit einem Schal fast erdrosselt haben soll. Vor drei Tagen demonstrierten rund 50 Freunde des Verurteilten in Karslruhe, weil sie von seiner Unschuld überzeugt sind. Im ZDF wurde sogar, wie BILD berichtete, eine Reportage über den Fall Harry Wörz gesendet.
Jetzt meldet sich der Vater von Andrea, Oberkommissar Wolfgang Zacher (53) zu Wort. Er sagt: "Alle reden von Harry. Aber keiner vom eigentlichen Opfer, nämlich meiner Tochter." Die Stuttgarter Polizistin sitzt nach dem Mordversuch für immer im Rollstuhl. Das Verbrechen geschah in der Nacht zum 29. April 1997. Andrea Z. wurde nachts in ihrer Wohnung bei Pforzheim überfallen, mit einem Schal gedrosselt. Ihr Gehirn wurde da 5 Minuten nicht mit Sauerstoff versorgt. Das Gericht verurteilte Harry Wörz als Täter. Ob er es wirklich war, wird womöglich nie geklärt. Andrea, die u.a. auch als Polizeimeisterin im Revier der Stuttgarter Arnulf-Klett-Passage Dienst tat, kann den Namen des Täters nicht sagen. Ihr Vater:"Seit dem Verbrechen ist sie zu 100% behindert. Sie kann nicht mehr sprechen, muss gefüttert werden. Sie kann sich nicht einmal eine störende Fliege von der Nase schnippen."

 

 

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Donnerstag, den 22.11.2001, Pforzheimer Zeitung

Demo für Harry Wörz

PFORZHEIM. Der Freundeskreis Harry Wörz wird - wie vor zwei Wochen in Karlsruhe - am kommenden Samstag, 24. November, vor C&A beim Marktplatz in Pforzheim eine Demonstration für ihren zu elf Jahren Haft verurteilten Kumpel abhalten. Von 11 bis 17 Uhr werden die in erster Linie aus Gräfenhausenern bestehenden Freunde von Wörz für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor einer Strafkammer Unterschriften sammeln. Zurzeit befasst sich der dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe mit der Frage. ob der spektakuläre Fall des versuchten Totschlags - bei dem Wörz' Ex-Frau Andrea fast zu Tode gekommen wäre und seither schwerstbehindert ist - wieder aufgerollt wird. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Mannheim hatte dies abgelehnt, Wörz-Anwalt Hubert Gorka dagegen Beschwerde eingelegt. Freunde des Arbeiters erheben massive Vorwürfe gegen die Pforzheimer Polizei und glauben an die Unschuld des Mannes. Sie haben 1600 Unterschriften für den Petitionsausschuss des Landtages gesammelt.

 

 

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Montag, den 26.11.2001, "Enztäler"

Erneute Kundgebung für Harry Wörz

Gesammelte Unterschriften sollen demnächst beim Petitionsausschuß eingereicht werden

Pforzheim. Mehr als 1.600 Unterschriften für den Petitionsausschuß des Baden-Württembergischen Landtages in Stuttgart hat der Freundeskreis Harry Wörz inzwischen gesammelt. Nach der Aktion in Karlsruhe vor wenigen Wochen hatte der Freundekreis am Samstag auch in der Pforzheimer Fußgängerzone für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor einer Strafkammer demonstriert.
Der Freundeskreis Harry Wörz um Guido Kröger, Mirka Wedel und Tanja Zipse war trotz des ungemütlichen Wetters mit über 60 Helfern in der Pforzheimer Fußgängerzone präsent. Nochmals mehr als 600 Unterschriften konnten dabei gesammelt werden. Alle Unterschriften zusammen sollen demnächst dem baden-württembergischen Prof. Dr. Ulrich Goll übergeben werden.
Ziel des Freundeskreises von Harry Wörz, der vom Landgericht Karlsruhe wegen versuchten Totschlags an seiner Ex-Frau Andrea zu 11 Jahren Haft verurteilt wurde, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens und das Einbringen eines Gesetzesentwurfes beim Petitionsausschuß. Dabei soll festgelegt werden, daß eine Polizeidirektion dann nicht ermitteln darf, wenn ein Polizeibeamter dieser Direktion das Opfer, ein Tatverdächtiger oder mit dem Opfer verwandt oder verschwägert ist. In diesen Fällen soll die Ermittlung von einer anderen Polizeidienststelle eingeleitet werden.
Unterstützung und großes Interesse erfährt der Freundekreis aus der Bevölkerung nicht nur bei den Demonstrationen in den Fußgängerzonen, und selbst das ZDF befasste sich in einer Dokumentation über den Fall Harry Wörz.
Auch die Band "ZERO", deren Mitglieder sich aus Neuenbürger und Wildbader Musikern zusammensetzt, unterstützte den Freundeskreis mit einer eigens aufgelegten CD. Die Homepage des Freundekreises ist inzwischen zu einem Selbstläufer geworden. Nicht nur Jurafakultäten bekunden Interesse an dem spektakulären Fall, auch weit mehr 15.000 Personen haben den über 1.000 Seiten umfassenden Internetauftritt mit Gutachten, Ermittlungsakten und Urteilen inzwischen besucht, berichtete der Freundeskreis.
Als weitere Aktionen des Freundeskreises sind am 26. Dezember vor der JVA Heimsheim eine Lichterkette und am 5. und 6. Januar eine Benefizveranstaltung der Kleintierzüchter in der Gräfenhausener Kelter und Sixthalle geplant.