Presseberichte zur 1. Strafverhandlung

Pressestimmen zur Urteilsverkündung vom 06.04.2001

 

Letzte Änderung: Dienstag, 08.01.2002

 

Pforzheimer Zeitung vom Samstag, den 07.04.2001

Wörz hofft auf Neuauflage

Nach der Klage-Abweisung der Zivilkammer Jubel im Zuschauerraum - Deutliche Richterschelte für Polizei-Ermittlungen

BIRKENFELD/KARLSRUHE. Die Zivilklage gegen Harry Wörz ist abgewiesen worden. Nach dem Richterspruch brachen seine Freunde in Jubelstürme aus. Man hofft nun auf eine strafgerichtliche Wiederaufnahme.

Von PZ-Redakteur Olaf Lorch

Nach Auffassung der achten Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe "gibt es nichts, was uns überzeugt, dass Sie der Täter waren", so Vorsitzender Richter Wolf-Rüdiger Waetke mit Blick auf Harry Wörz, den im Januar 1998 die Schwurgerichtskammer an gleicher Stelle wegen versuchten Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilt hatte. Opfer ist seine damals von ihm getrennt lebende Frau Andrea, 26, die in den frühen Morgenstunden des 29. April in ihrem Haus in Birkenfeld fast erdrosselt wurde. Wörz hatte die Tat immer bestritten. Und ein ganzes Dorf steht seither auf seiner Seite.

Schwere Vorwürfe richtete Waetke an die Pforzheimer Polizei: Dass die Beamten nicht unmittelbar nach der Alarmierung Andreas Vater, wie die Tochter und deren Liebhaber Polizist, hatte gegenüber seinen Kollegen von einer "Beziehungstat" gesprochen bei Wörz klingelten oder zumindest an seinem Auto kontrollierten, ob der Motor noch warm war, bezeichnete Waetke als "Unterlassung, die sich verhängnisvoll ausgewirkt hat". Wie mit Belastungsmaterial umgegangen sei, sei "allemal merkwürdig". Die Kammer könne sich "des Eindrucks nicht erwehren, dass nicht ganz objektiv ermittelt" worden sei.

Zu Beginn des Zivilprozesses, mit dem die Mutter des seit der Tat hirngeschädigten und schwerst pflegebedürftigen Opfers 300000 Mark erstreiten wollte, hatte die Kammer zwei abgerissene Fingerlinge einer auf dem Bett, einer auf dem Flur noch als sicheres Indiz für eine Täterschaft von Harry Wörz gesehen: Fehlten ihm nicht wegen einer Amputation zwei Fingerglieder? Würde daraus nicht unweigerlich folgern, diese seien ihm vom Opfer im Todeskampf abgerissen worden? Doch löste sich diese Theorie in Luft auf die Fingerlinge stammten von zwei verschiedenen Handschuhen, einer groß, einer mittel.

Mangel an Beweisen

Auch in einem weiteren Punkt gelangte man zu einem anderen Schluss als die Schwurgerichtskammer: Nach vielstündiger Befragung eines Bonner Statistikers und eines DNA-Experten des Landeskriminalamts machte sich die Erkenntnis breit, bei einer relevanten Spur sei der sichere Beweis nicht zu führen, dass ausschließlich Wörz der Verursacher sei. Ein weiterer Punkt: Das Halstuch, das man in seiner Wohnung fand, schied als Tatwerkzeug aus. Und hinsichtlich der Spuren auf Zigarettenschachteln und Amphetaminbriefchen gebe es zu viele Widersprüche, um zu der Überzeugung zu gelangen, Wörz sei der Täter gewesen was nicht bedeute, dass die Kammer an seine Unschuld glaube, so Waetke eindringlich.

Dass erst gestern, plötzlich, unerwartet und erstmalig, ein Päckchen mit Fingerlingen Bestandteil der Verhandlung war, gereichte der Polizei ebenfalls nicht zum Ruhm. Sie hätten eigentlich auf der Asservatenliste stehen müssen. Taten sie aber nicht. Warum? "Vielleicht, weil sie vom Muster der Fingerlinge am Tatort abwichen", mutmaßte ein Kriminaltechniker. "Eine kaum nachvollziehbare Begründung", schalt der Vorsitzende Richter. Dass weder die Fingerlinge noch zwei Tagebücher sowie Schlüssel und ein Haushaltsführungsbuch mit einer ausgerissenen Seite nicht vom Morddezernat an die Kriminaltechnik zur Überprüfung weitergegeben wurden, rechtfertigte der Sachbearbeiter mit den Worten: "unerheblich". "Das kann nicht Ihr Ernst sein", fragte Waetke konsterniert zurück.

Alles Wasser auf die Mühlen von Hubert Gorka, Wörz' Anwalt, der den Ermittlern "schwere Versäumnisse" vorwarf. In der kommenden Woche will er einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens stellen. Wenn es dazu kommen sollte, wäre auf jeden Fall eine andere Schwurgerichtskammer im Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe zuständig, in Mannheim beispielsweise oder in Heidelberg.

Feier im Vereinsheim

Seit seiner Verhaftung haben sich seine Freunde für Harry Wörz eingesetzt, Geld gespendet und gesammelt, eine dicke Dokumentation über den wie sie sagen "Justizirrtum" zusammengestellt. Gestern hatten sie zum erstenmal seit April 1997 einen Grund, freudig auf Harry Wörz anzustoßen, der nach wie vor in Heimsheim einsitzt. Seine Kumpels feierten im Gräfenhausener Vereinsheim.

 

 

 

Pforzheimer Zeitung vom Samstag, den 07.04.2001

Olaf Lorch, PZ-Redakteur, Kommentar zu:

Richterschelte

In der Polizeidirektion Pforzheim ist man spätestens seit gestern um ein Feindbild reicher: Es heißt Wolf-Rüdiger Waetke, führt den Vorsitz der achten Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe und sagt über Versäumnisse der Ermittler Sätze wie: "Das mag verstehen, wer will, wir tun es jedenfalls nicht." So viele Ohrfeigen wie in dem zwei Jahre währenden Zivilprozeß um die Hauptperson Harry Wörz hat die hiesige Polizei noch nie bezogen. Zum Teil vollkommen zu Recht. Man kann nur den Kopf schütteln, daß nicht sofort eine andere Dienststelle mit der Aufklärung des versuchten Totschlags an Wörz' Frau betraut wurde - sind oder waren doch Opfer, Vater und Geliebter Polizisten bei der gleichen Direktion.

Waterloo für Kripo

Wie willkürlich Beweismaterial gesichert - oder auch nicht -wurde, wurde nicht nur gestern deutlich, als noch einmal Polizisten nicht nur als Zeugen vernommen, sondern fast schon der Lächerlichkeit preisgegeben wurden. Und sie taten nichts, um diesen Eindruck, den die Kammer schon oft zu haben schien, zu korrigieren. Freunde hatte sich auch Heinz Hoefer, damals Vorsitzender der Schwurgerichtskammer, bei der Polizei nicht gemacht. Auch er verteilte kräftig Tritte vors Schienbein. Nur zogen die Strafrichter andere Schlüsse. Kommt's zur Wiederaufnahme, gibt's zum dritten Mal Watschen.

 

 

 

Der Enztäler vom Samstag, den 07.04.2001

"Es bleibt absolut nichts an Beweisen übrig" - Klage im Fall Wörz abgewiesen

Vorwurf der Schlamperei gegen Pforzheimer Polizei / Wiederaufnahmeantrag wird gestellt

Von unserem Redaktionsmitglied Armin Guzy

Karlsruhe/Birkenfeld. "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß in manchem nicht ganz Objektiv ermittelt wurde" - schwere Vorwürfe aus dem Mund des Vorsitzenden Richters der 8. Zivilkammer Karlsruhe an die Adresse der Pforzheimer Polizei. Das Richtergremium hat gestern die Schmerzensgeldklage gegen Harry Wörz als unbegründet abgewiesen. Eine Entscheidung, die bei Wörz' Freunden Minuten später ein telefonisches Lauf- und Freudenfeuer entfachte. Eine Wiederaufnahme des ersten Verfahrens scheint jetzt greifbar nahe.

Wegen versuchten Totschlags an seiner inzwischen geschiedenen Frau hatte das Karlsruher Schwurgericht Harry Wörz im Januar 1998 zu elf Jahren Haft verurteilt. Ein spektakulärer Prozeß, der sich damals allein auf Indizien, darunter mehrere DNA-Gutachten, stützte. Spektakulär auch deshalb, weil das Opfer, ihr Vater und ihr damaliger Freund Beamte der Pforzheimer Polizei waren, die auch die Ermittlungen führte. Schon damals war Kritik am Vorgehen der Ermittler laut geworden.

Gestern saß Wörz erneut auf der Anklagebank. Die Eltern des Opfers, das die Tat mit schwersten Hirnschädigungen überlebte, hatten ihn in einem Zivilprozeß auf 300.000 Mark Schmerzensgeld verklagt. Grundlage der Verhandlung waren die Indizien aus dem ersten Prozeß. Dennoch kam das Gremium unter Vorsitz von Richter Wolf-Rüdiger Waetke zu einem anderen Ergebnis als seinerzeit die Schwurgerichtskammer: "Es gibt nichts, was uns letztlich überzeugt, daß Sie der Täter waren", stellte Waetke an den Wörz gewandt klar.

Leicht hat sich das Gericht die Entscheidung wahrlich nicht gemacht. Gebohrt hatten die Richter, nachgehakt, Zeugen und Sachverständige mit unbequemen Fragen gelöchert, gründlich alle Hinweise geprüft. Mißverständnisse geklärt. Selbst am gestrigen Tag, der ursprünglich allein für die Urteilsverkündung vorgesehen war, hatten die Richter nochmals kurzfristig vier Beamte der Pforzheimer Polizei vorgeladen. Was am Ende der Suche blieb, waren zerplatzte Indizien, Jubel bei denjenigen, die nach wie vor fest von Wörz' Unschuld überzeugt sind und unbeantwortete Fragen wegen der Art und Weise, wie die ermittelnden Beamten damals vorgegangen waren.

Vorgehen der Polizei Schlüssel zum Nachweis der Schuld

Waetke machte keinen Hehl daraus, daß im Vorgehen der Polizei auch der Schlüssel zum Nachweis von Schuld oder Unschuld und daher letztlich auch zur Entscheidung des Gerichts liegt. Als "absolut unverständlich" bezeichnete er die Schlampereien, die bei der Befragung der Beamten gestern nochmals deutlich zu Tage traten.

Vater und Liebhaber des Opfers durften kurz nach der Tat den Tatort betreten, Beamte warteten mehr als zwei Stunden vor Wörz' Wohnung, ohne ihn zu befragen oder auch nur die Motortemperatur seines Autos zu prüfen, ohne das Wörz die Tat kaum hätte begehen können.

Mehr noch: Es wurden Spuren als "nicht relevant" eingestuft, die wichtige Erkenntnisse hätten bringen können - das räumte gestern sogar der damals zuständige Sachbearbeiter von der ehemaligen Kriminalinspektion 1 in Pforzheim ein. Außerdem gab es zwei Listen mit Asservaten vom Tatort, die nicht übereinstimmten, zwei Seiten eines Untersuchungsberichts, die in der Hauptermittlungsakte fehlten, ein einzeln sichergestelltes Tagebuch, zu dem auf ungeklärte Weise ein zweites hinzu kam, ein Haustürschlüssel, der nicht auf Fingerabdrücke untersucht wurde und schließlich ein Haushaltsbuch mit Einnahmen und Ausgaben, aus dem ausgerechnet die Seite mit dem Monat herausgerissen war, in dem die Tat stattfand. Von "Versäumnissen" sprach der Sachbearbeiter im Zusammenhang mit den Asservatenlisten, von einem " wirtschaftlichen und ökonomischen Vorgehen", das bei der Vorauswahl von Gegenständen eine Rolle spielen, die später an die kriminaltechnische Untersuchung weitergeleitet werden. Ein Beamter der Kriminaltechnik: "Aus irgendwelchen, mir nicht bekannten Gründen, ist die Sache wohl an mir vorbei gegangen. Das mag auch meine Schuld sein - ich hätte mich informieren sollen."

Auch durch DNA-Analysen konnte keine eindeutige Täterschaft von Wörz nachgewiesen werden. Die Spuren waren unvollständig, zu stark verunreinigt und stammten überdies aus Fingerlingen, die von zwei verschieden großen Handschuhen abgerissen wurden ("Der Enztäler" berichtete).

Richter Waetke räumte ein, daß dies für das Gremium bei Prozessbeginn zunächst ein überzeugendes Indiz gewesen sei. Im Laufe der Verhandlung seien aber immer mehr Ungereimtheiten aufgetaucht, die auch die Eindeutigkeit der DNA-Spuren am Ende in Frage gestellt habe.

Wiederaufnahme im "Sinne der Gerechtigkeit?"

Der Richter stellte klar, daß es bei einem Zivilprozeß keine Ermittlungen von Amts wegen gäbe, betonte aber, daß sich das Gremium in diesem Fall mehrfach über dieses Gebot hinweg gesetzt habe - "im Sinne der Gerechtigkeit". Das Fazit Waetkes: "Es bleibt nichts, absolut gar nichts übrig, was als Indiz eindeutig gegen Wörz spricht". Auch ein Motiv konnte nicht gefunden werden. Gleichwohl stellte er klar, daß dies nicht der Beweis der Unschuld von Wörz sei. Es sei aber auch nicht möglich, ihn ohne ausreichend sichere Beweise zu verurteilen.

Wörz wird jetzt einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellen. Ein Revisionsantrag nach dem ersten Verfahren war vom Bundesgerichtshof bereits im August 1998 abgelehnt worden.

 

 

 

Der Enztäler vom Samstag, den 07.04.2001

Harry W. setzt Hoffnung auf ein neues Verfahren

Zu elf Jahren Haft verurteilter Pforzheimer beteuert seine Unschuld / Urteil in Zivilprozeß erhöht Chancen für Wiederaufnahme

Von Philipp Scheffbuch (sb)

Pforzheim. Der Karlsruher Rechtsanwalt Hubert Gorka war sich schon am Dienstag dieser Woche ganz sicher: "Wir werden unabhängig vom Ausgang des Zivilprozesses die Wiederaufnahme des Strafprozesses beantragen". Sein ungewöhnlicher Fall: 1997 ist der gebürtige Pforzheimer Harry W. von einer Strafkammer zu elf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er soll seine damalige Frau 1997 in Birkenfeld im Enzkreis mit einem Schal in einer Weise stranguliert haben, daß das Opfer seither im Wachkoma liegt.

Die Eltern der Geschädigten hatten gegen den strafrechtlich verurteilten 34-jährigen Harry W. daraufhin eine Schmerzensgeldklage über 300 000 Mark (153 387 Euro) eingereicht. Diese aber ist nun am Freitag vom Karlsruher Landgericht abgewiesen worden. Und der Vorsitzende Richter Wolf-Rüdiger Waetke sagte in der Urteilsbegründung, das Gericht sei nicht von der Täterschaft des Inhaftierten überzeugt. Als "merkwürdig" bezeichnete der Richter zudem die damaligen Ermittlungen der Pforzheimer Polizei. "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß in manchen Punkten nicht objektiv ermittelt wurde", so der Richter.

Dabei schien damals für die Pforzheimer Polizei der Fall sehr schnell klar zu sein. Immerhin war das Opfer des brutalen Verbrechens eine Kollegin. Und auch der Vater des Opfers ist Polizist. Er war zum Tatzeitpunkt sogar im Haus seiner Tochter. Daß dann aber Fingerlinge mit Abdrücken des vom Opfer getrennt lebenden Ehemanns in Tatortnähe gefunden wurden, machte aus Harry W. schnell einen Täter.

Bei den Ermittlungen, so der Vorwurf von Harry W. s Verteidigung, seien aber andere Spuren und Motive vernachlässigt. Auch Freunde von Harry W. versuchen seit vier Jahren, die Öffentlichkeit von anderen Motiven und Spuren zu überzeugen. Bislang ohne großen Erfolg.

Nach dem Urteil vom Freitag aber sehen sie sich ihrem Ziel ein Stück näher. In einer ersten Reaktion freuten sie sich über einen "Freispruch". Allerdings: Unabhängig vom Ausgang des Zivilprozesses, bleibt Harry W. strafrechtlich weiter verurteilt. Dies zu ändern, ist ein langer Weg. Schon unmittelbar nach dem Strafprozeß im Jahr 1998 war von Seiten des wegen versuchten Totschlags verurteilten Installateurs Revision begründet worden. Doch sein damaliger Anwalt hatte damit keinen Erfolg.

Die letzte Möglichkeit bleibt seitdem die Wiederaufnahme. Diese zu erreichen, ist aber nach Expertenmeinung in Deutschland mehr als schwierig. Die Beweislage muß sich signifikant geändert haben. Harry W. s Anwalt Gorka ist davon überzeugt, daß genau dem so ist. "Der DNA-Test lief schief", sagt er zu den damaligen Ermittlungen. So habe der Gutachter vom LKA in Stuttgart jetzt im Zivilprozeß seine einst eindeutige Zuordnung der Spuren sehr stark relativiert. Auch ist die an den Fingerlingen vorgenommene Analysemethode nach Ansicht des Verteidigers fragwürdig.

Ein Ansatzpunkt für die Verteidigung ist aber auch die kollegiale Verbindung zwischen Opfer, Vater des Opfers und den Ermittlern vor Ort. Auch dies rechtfertige eine erneute Überprüfung. Anwalt Gorka kennt die Schwierigkeiten, die vor einem Wiederaufnahmeverfahren überwunden werden müssen. Dennoch ist er zuversichtlich: "So hoffnungsvoll wie dieses Mal war ich noch nie".

 

 

Pforzheimer Kurier vom Samstag, den 07.04.2001

Vorsitzender mißbilligt das Verhalten der Polizei bei den Ermittlungen

Zivilkammer weist Klage gegen Harry Wörz ab

Das gestrige Urteil weckte neue Hoffnungen auf eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens

Karlsruhe/Birkenfeld (vie). Eine Stecknadel hätte man gestern im Schwurgerichtssaal des Landgerichtes Karlsruhe fallen hören können, als der Vorsitzende Richter der VIII. Zivilkammer, Wolf Rüdiger Waetke, das Urteil im Prozess um 300 000 Mark Schmerzensgeld verkündete: Die Klage wird abgewiesen.

Die Kammer sah sich außer Stande, im Beklagten Harry Wörz zweifelsfrei den Mann zu sehen, der in der Nacht zum 29. April 1997 seine von ihm getrennt lebende Ehefrau dermaßen würgte, daß die blühende junge Frau zum hilflosen Pflegefall wurde.

Wörz hatte die Tat immer bestritten. Vom Schwurgericht war er im Januar 1998 nach vier dramatischen Verhandlungstagen zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Zum Verhängnis waren ihm damals zwei abgerissene Fingerlinge von Gummihandschuhen geworden. Wer diese Handschuhe trug, so die Überzeugung des Schwurgerichtes, war auch der Täter. In zumindest einem der Fingerlinge wurde der genetische Fingerabdruck des Angeklagten festgestellt. Jetzt aber, vor dem Zivilgericht, stellte sich heraus, daß es sich bei den Fingerlingen um Finger von verschiedenen Handschuhen handelte und auch noch in verschiedenen Größen.

Weiteren einzelnen Fingerlingen, die ebenfalls in der Wohnung des Opfers gefunden wurden, hatte die Polizei keine Bedeutung beigemessen. Daß aber gerade diese beiden abgerissenen Fingerlinge der Täter getragen haben müsse, davon waren die Ermittler damals überzeugt gewesen.

Wie sich in der gestrigen Verhandlung herausstellte, war noch weiteren Details keine Bedeutung beigemessen worden: Nämlich einem Heft, in dem die junge Frau Einnahmen und Ausgaben festgehalten hatte. Eine Seite, die aktuellste, war herausgerissen worden. Eine Tatsache, auf die ein Beamter den Leiter der Ermittlungen ausdrücklich hinwies. Der hatte das Heft so wenig relevant gefunden wie auch einen Hausschlüssel, mit dem sowohl die Wohnung des Opfers als auch die Haustür im Souterrain aufgeschlossen werden konnte. Beides wurde nicht auf Fingerabdrücke untersucht. "Ich muß auch an die Wirtschaftlichkeit denken", erklärte der Beamte dem befremdeten Vorsitzenden, dem angesichts dessen, was alles als "unwichtig" erachtet worden war, ein "Das kann nicht Ihr Ernst sein!" entfuhr.

So wurde der jungen Frau keine Haarprobe entnommen, obwohl in einer Tüte ein Päckchen mit Amphetamin gefunden wurde. Sie wurde schlicht Harry Wörz zugerechnet. Auch vom Vater des Opfers wurde keine Probe entnommen. "Bezeichnend für das ganze Verfahren", nannte dies der Anwalt von Wörz, Hubert Gorka. Der Polizei seien schwere Versäumnisse vorzuwerfen.

Vorsitzender Waetke ging in der Urteilsbegründung auch auf das Schicksal der jungen Frau ein, der das Mitgefühl der Kammer galt. Aber: Kein Urteil dieser Welt könne ausgleichen, was ihr angetan worden sei. Für eine Täterschaft von Harry Wörz fehlte den Richtern jeder Anhaltspunkt. Allerdings gebe es auch keinen Anhaltspunkt für seine Unschuld, wie Waetke unmißverständlich ausführte. Im ganzen Verfahren blieben "jede Menge unerklärbarer Widersprüche". Viele zunächst so plausibel erscheinenden Indizien zerpflückte er ohne Genuß.

In aller Deutlichkeit mißbilligte Waetke das Verhalten der Polizei, vor allem das Zögern in der Tatnacht, als Beamte stundenlang tatenlos vor dem Haus des Verdächtigen Wörz standen, weder ihn noch sein Auto begutachteten. "Eine verhängnisvolle Unterlassung und absolut unverständlich!" Überhaupt fand es der Vorsitzende merkwürdig, wie Beweise gewertet wurden. Des Eindrucks, daß nicht objektiv ermittelt wurde, könne man sich nicht erwehren. Im Schwurgerichtssaal brandete nach der Urteilsverkündung Jubel auf. Die Hoffnungen auf ein Wiederaufnahmeverfahren scheinen in realistische Nähe gerückt zu sein.

 

 

 

Badisches Tagblatt von Samstag, den 07.04.2001

Kripo-Ermittlungen im Zwielicht

Rechtskräftig Verurteilter muss kein Schmerzensgeld zahlen - Keine Indizien für Schuld von 34-Jährigem

KARLSRUHE (Inn). Bei der Urteilsverkündung brach Jubel unter den etwa 100 Zuschauern aus. Der rechtskräftig wegen versuchten Totschlages an seiner Ex-Ehefrau zu elf Jahren Haft verurteilte 34-jährige Harry Wörz aus Gräfenhausen bei Pforzheim muss kein Schmerzensgeld an das Opfer zahlen.

In einem Zivilprozess vor dem Karlsruher Landgericht kam das Gericht zu diesem Ergebnis. Es gebe keine Indizien, dass Wörz der Täter war, meinte der Richter in der Urteilsbegründung.

Am 20. April 1997 wurde Andrea Z. früher Wörz) in ihrer Wohnung von einem Täter etwa fünf Minuten lang gewürgt. Als Folge der Tat kann sie nicht sprechen und wird zum Pflegefall. Neben Wörz, der damals mit Andrea in Scheidung lebte, kamen der Vater und der Geliebte des Opfers als Täter in Frage. Beide sind wie das Opfer Polizisten. Ein konkretes Motiv hatte keiner der Tatverdächtigen. "Ermittelt wurde aber nur gegen Harry", sagt Guido Kröger, der einen "Freundeskreis Harry Wörz" ins Leben gerufen hat. Dies sei jedoch kein Wunder gewesen, so Kröger weiter, seien doch die anderen Tatverdächtigen und die Ermittler Duzfreunde gewesen. In einem reinen Indizienprozess wurde Wörz, der immer seine Unschuld beteuerte, schließlich verurteilt. Eine Revision wurde abgelehnt.

Das gestrige Urteil ist kein Freispruch. Dazu muss das Strafverfahren wieder aufgenommen werden. Doch während der acht Prozesstage in 18 Monaten wurden nach und nach die Indizien-Beweise aus dem Strafprozess widerlegt. Zu den Hauptindizien gehörten zwei Fingerlinge, die die Polizei am Tatort fand. Die Schlussfolgerung damals: Sie stammen von Wörz, denn er trägt oft solche Handschuhe und ihm fehlen zwei Finger an einer Hand. Die losen Fingerlinge müssen ihm im Kampf abgerissen worden sein, so die Vermutung. Eine Untersuchung hat jetzt ergeben, dass die Fingerlinge von verschiedenen Handschuhen stammen. Einer davon gehört zu einem Daumen, und die besitzt Wörz beide noch. Außerdem wurde eine DNA-Analyse durch ein Gegengutachten widerlegt. Selbst der damalige Gutachter gestand seinen Fehler ein.

Gestern nahm das Gericht noch einmal vier Polizisten wegen Ungereimtheiten in den Akten in den Zeugenstand. "Merkwürdig" fand es das Gericht, wie Material und Spuren gewertet wurden. So fehlen beispielsweise in den Akten der Kriminaltechnik zwei Seiten eines Berichtes. Hierin sind am Tatort sichergestellte Gegenstände aufgeführt. Der am Tatort verantwortliche Polizist sah bei all diesen Fundstücken nicht die Notwendigkeit, sie zur kriminaltechnischen Untersuchung weiterzuleiten, da sie seiner Meinung nach "nicht relevant für den Fall sind". Er müsse "wirtschaftlich und ökonomisch" arbeiten, die Untersuchungen kosten schließlich Geld. Außerdem wurden weitere am Tatort gefundene Plastikhandschuhe einfach den Sanitätern zugeschrieben und nicht untersucht. Die Sanitäter benutzen diese Art Handschuhe aber nicht. Daneben gab es noch andere "Pannen" beim Polizeieinsatz. So wurde keine Haaranalyse beim Opfer veranlasst, obwohl im Urin Spuren von Drogen gefunden wurden und Andrea Z. Drogenprobleme hatte. Auch hier glaubte der verantwortliche Polizist zu wissen, dass die Spuren von Medikamenten des Not-arzteinsatzes stammen. "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass von der Pforzheimer Kripo, ob bewusst oder unbewusst, nicht ganz objektiv ermittelt wurde", meinte der Vorsitzende Richter.

 

 

 

Schwäbisches Tagblatt, von Samstag, den 07.04.2001

PROZESS / Richter: Merkwürdige Ermittlungen

Kein Schmerzensgeld

In einem Aufsehen erregenden Urteil haben Richter gestern Zweifel an der Schuld eines rechtskräftig wegen versuchten Totschlags verurteilten Mannes geäußert.

KARLSRUHE. Das Landgericht Karlsruhe hat in einem Zivilverfahren um eine später abgewiesene Klage auf 300 000 Mark Schmerzensgeld Zweifel an der Schuld eines 34 Jahre alten Mannes geäußert, der 1998 von einer Strafkammer desselben Gerichts rechtskräftig zu elf Jahren Haft wegen versuchten Totschlags verurteilt worden war. Der aus Birkenfeld bei Pforzheim stammende Installateur war im Januar 1998 verurteilt worden, weil er 1997 in Birkenfeld seine von ihm getrennt lebende Frau mit einem Schal derart stark gewürgt haben soll, dass sie seither wegen einer massiven Hirnschädigung schwerstbehindert ist und sich nicht mehr artikulieren kann.

Das Gericht sei nicht überzeugt, dass der Verurteilte die Tat begangen habe, sagte der Vorsitzende Richter Wolf-Rüdiger Waetke. Zugleich bezeichnete er die Ermittlungen der Pforzheimer Polizei in diesem Fall als "merkwürdig". Waetke weiter: "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in manchen Punkten nicht objektiv ermittelt wurde."

Das Opfer war Polizeibeamtin in Pforzheim, ebenso ihr zeitweise selbst in Verdacht geratener Vater, der sich zur Tatzeit in ihrem Haus befunden hatte. Der Anwalt des Angeklagten kündigte an, die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu beantragen (Aktenzeichen: 8 0152/99 vom 6. April 2001).

Waetke machte zu Beginn der Urteilsverkündung deutlich, dass ein Zivilverfahren anderen Regeln folge als ein Strafprozess, in dem das Gericht die Schuld des Angeklagten nachweisen müsse. Die Klägerin, die durch ihre Eltern vertretene damalige Ehefrau des Verurteilten, müsse die relevanten Tatsachen für ihre Forderung beweisen - also die Frage, wer die Tat begangen habe. Nach den Indizien, die in dem anderthalb Jahre dauernden Prozess vorgebracht worden seien, sei weder die Schuld noch die Unschuld des 34-Jährigen bewiesen: "Es gibt nichts, was uns diese Sicherheit verschafft", sagte der Richter.

Unverständnis äußerte Waetke über das Verhalten der Polizei in der Tatnacht des 29. April 1997. Sie sei nach der Entdeckung des Opfers durch ihren Vater zum Haus des Ehemannes gefahren und habe zwei Stunden abgewartet, bevor sie zugegriffen habe. Dadurch hätten die Beamten die Chance verpasst, den Wagen des Verdächtigen zu überprüfen. Wäre der Motor noch warm gewesen, so wäre dies ein "gravierendes Indiz" gewesen, weil eine rasche Rückkehr zu Fuß nicht möglich gewesen sei. Dass die Polizisten dies unterließen, "das mag verstehen, wer will, wir tun es jedenfalls nicht", sagte der Richter.

 

 

 

BILD Zeitung von Samstag, den 07.04.2001

Karlsruhe

Ex-Mann von Polizistin zu Unrecht verurteilt?

In einem Zivilverfahren hat das Landgericht Karlsruhe die Klage einer früheren Pforzheimer Polizistin gegen ihren geschiedenen Mann (34, Installateur) abgeschmettert. Die Frau wurde 1997 mit einem Schal gewürgt, ist seither wegen Hirnschädigung schwerbehindert. Deswegen sollte der 1998 wegen versuchten Totschlags verurteilte Ex-Mann 300000 Mark Schmerzensgeld an sie bezahlen. Das Gericht: "Wir sind nicht überzeugt, dass der Verurteilte der Täter ist." Der Anwalt des Mannes will ein Wiederaufnahmeverfahren.

 

 

 

Pforzheimer Zeitung von Dienstag, den 10.04.2001

Schweigen nach der Richterschelte

Von PZ-Redakteur Olaf Lorch

Chef der Polizeidirektion Pforzheim kommentiert Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe in Sachen Harry Wörz nicht "Ständig" überprüfe die Polizei "intern" ihr Handeln und bringe dort, "wo Verbesserungen in der Vergangenheit angebracht waren", diese auf den Weg. Das werde man auch in Zukunft tun.

Soweit Karl-Heinz Arnitz, Leitender Kriminaldirektor und Chef der Polizeidirektion Pforzheim. Diese war nicht nur aber vor allem am vergangenen Freitag ins Kreuzfeuer der Kritik geraten: Die achte Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe hatte in einem Aufsehen erregenden Urteilstenor die Auffassung geäußert, die Polizei habe mitunter einseitig und zum Teil schlampig ermittelt, was die Aufklärung eines Tötungsdelikts an der Kollegin Andrea Wörz am 29. April 1997 in Gräfenhausen betrifft. Deren in Scheidung lebender Mann Harry war im Januar 1998 in einem reinen Indizienprozess zu elf Jahren Haft wegen versuchten Totschlags verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil der Schwurgerichtskammer.

Doch schon das Landgericht hatte die Art und Weise, wie die Ermittlungen geführt wurden, heftig kritisiert, war jedoch einer falschen DNA-Spur aufgesessen Grund genug für Harry Wörz Anwalt Hubert Gorka, eine strafprozessuale Wiederaufnahme zu beantragen.

Nach der in dieser Form seltenen Richterschelte wollte die PZ vom hiesigen Polizeichef wissen, welche Konsequenzen personell oder die Arbeit betreffend man daraus ziehe, oder man sich vielleicht zu Unrecht angegriffen fühle. Die Polizei, ließ Arnitz wissen, der zum fraglichen Zeitpunkt (Frühjahr 1997) noch gar nicht an der Spitze der Polizeidirektion stand und erst im März vergangenen Jahres seinen Dienst in Pforzheim antrat, kommentiere Gerichtsverhandlungen grundsätzlich nicht. Man bitte um Verständnis dafür, über Personalentscheidungen nicht in der Öffentlichkeit zu diskutieren.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass trotz öffentlich geübter Solidarität und Zurückhaltung intern zu allen Zeiten der Ermittlungen Kritik laut wurde. Besonders die Begründung des Sachbearbeiters, man habe "aus Kostengründen" nicht jede Spur zur Untersuchung ans Labor des Landeskriminalamts schicken können, wurde angesichts der Harry Wörz drohenden Strafe mit Kopfschütteln quittiert. Die verbale Ohrfeige des Vorsitzenden Richters war nur noch das öffentlichkeitswirksame Tüpfelchen auf dem i.

 

 

 

Der Enztäler von Dienstag, den 10.04.2001

Nach dem Feiern wollen Harrys Freunde jetzt wieder kämpfen

Dennoch auch Ernüchterung: Wiederaufnahmen von Verfahren sind selten

Von unserem Redaktlonsmitglied Armin Guzy

Gräfenhausen. "Freispruch!" - In fetten Lettern prangt das erlösende Wort auf der Homepage von Harry Wörz. Ein Freispruch war das Urteil des Karlsruher Landgerichts vom vergangenen Freitag natürlich nicht, aber es wird überdeutlich, welche Hoffnungen Freunde und Verwandte des Gräfenhauseners in die Abweisung der Schmerzensgeldklage setzen. "Zufrieden sein können wir noch nicht, aber erleichtert waren wir alle, jetzt kommt die Sache wieder ins Rollen", gibt die Schwester von Harry Wörz kämpferisch die Stoßrichtung vor.

"Um die Wiederaufnahme des Verfahrens hätten wir aber auch gekämpft, wenn das Urteil am Freitag anders ausgefallen wäre. Aber jetzt geht es hoffentlich schneller." Wie Elke Henning haben viele in Gräfenhausen 18 Monate lang gewartet, gebangt und gehofft. Jetzt ist das Urteil gefallen, aber nach der ausgelassenen Feier am Freitag im brechend vollen Gräfenhausener Clubhaus ist wieder eine leichte Ernüchterung eingekehrt.

Elke Henning macht sich nichts vor: "Die Wiederaufnahme eines Verfahrens in Deutschland ist äußerst selten. " Aber schließlich hatte auch den "Freispruch" in dieser Deutlichkeit keiner so richtig erwartet. Das gibt Auftrieb, macht Hoffnung, das es in diese Richtung weiter geht.

Vor allem der neuerliche Beweis vom Freitag, dass es bei der Beweissicherung und den anschließenden Ermittlungen der Polizei zahlreiche Ungereimtheiten gegeben hat, macht Harrys Freunden Mut. Vom Auftritt des damaligen Sachbearbeiters im Fall Wörz ist sogar der Gräfenhausener Pfarrer Peter Knop "erschüttert": "Vor diesem Verhandlungstag wusste keiner von uns etwas von den beiden fehlenden Seiten in der Ermittlungsakte oder von der Tüte mit Fingerlingen, die der Beamte als "unwesentlich" bezeichnete."

Harrys Seelsorger, der den Zivilprozess über die gesamte Zeit begleitet hat, lobte dem "Enztäler" gegenüber vor allem "die sehr feine Wortwahl in der Urteilsbegründung" und "die leidenschaftliche und aufrichtige Art", mit der Richter Waetke den Prozess geführt hat. Dieser "glaubhaften" Suche nach der Wahrheit zollt der Gottesmann nach eigenem Bekenntnis den größten Respekt.

Deutlich macht Knop aber auch, dass es bei allem Jubel über das Urteil nicht gegen das Opfer Andrea geht. "Ihr Schicksal tut uns leid und macht uns in der Gemeinde sehr betroffen. Man ist hier in Gräfenhausen auch nicht blindlings für Harry", schränkt der Pfarrer ein. Die Befriedigung über die Art und Weise, in der das Verfahren abgelaufen ist, und die Worte, mit denen Richter Waetke in der Urteilsbegründung die Arbeit der ermittelnden Beamten rügte, wird dennoch auch bei ihm mehr als deutlich.

Von der Polizeidirektion Pforzheim gab es gestern zu dem Urteil des Landgerichts und den darin enthaltenen Vorwürfen den Kommentar, dass man Gerichtsverhandlungen grundsätzlich nicht kommentiere. "Ich darf ihnen aber sagen, dass die Polizei ständig intern ihr Handeln überprüft und dort, wo Verbesserungen in der Vergangenheit angebracht waren, diese auf den Weg gebracht hat", teilte der Leiter der PD, Karl-Heinz Arnitz, dem "Enztäler" auf Anfrage schriftlich mit. Dabei warb der Polizeichef um Verständnis dafür, dass "wir über Personalentscheidungen nicht in der Öffentlichkeit diskutieren." Dem Vernehmen nach dürften damit Konsequenzen im Bereich des Erkennungsdienstes gemeint sein.

 

 

 

Pforzheimer Zeitung, von Donnerstag, den 19.04.2001

Wörz-Urteil unter Lupe

PFORZHEIM/BIRKENFELD.Nicht nur der Rechtsanwalt des Gräfenhauseners Harry Wörz prüft derzeit die Möglichkeit einer strafprozessualen Wiederaufnahme. Diese steht im Raum, nachdem die achte Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe einen Spruch der Schwurgerichtskammer von vor drei Jahren konterkariert hatte: Die Strafrechtsinstanz hatte Wörz wegen versuchten Totschlags an seiner damaligen Frau zu elf Jahren Haft verurteilt. Das Zivilgericht hingegen wies die Klage der Mutter des Opfers auf Schmerzensgeld ab, weil man nicht restlos von der Schuld Wörz¬ überzeugt war sehr zur Freude von Hubert Gorka. Der Wörz-Anwalt will nun wie die Staatsanwaltschaft Pforzheim das Urteil der Kammer studieren. "Wir sind zu einer Überprüfung gesetzlich verpflichtet", sagt Gabriele Gugau, kommissarische Behördenleiterin, auf Anfrage. Man werde dann "das Gebotene unternehmen". Das Justizministerium dementiert Gerüchte, wonach Stuttgart die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe aufgefordert habe, sich der Sache anzunehmen. Rechtsanwalt Gorka sieht die strengen Voraussetzungen der Strafprozessordnung für eine seltene Wiederaufnahme eines Strafprozesses als gegeben. Er verweist auf die Einschränkung beziehungsweise Nachbesserung des DNA-Gutachtens des Landeskriminalamts einem tragenden Pfeiler einer Indizienkette, die das Schwurgericht anders wertete als die Zivilrichter. Gorka wird auch den Antrag stellen, Wörz aus der Strafhaft solange auf freien Fuß zu setzen, bis das zuständige Gericht entschieden hat, ob es eine Wiederaufnahme zulässt oder nicht.
olaf lorch

 

 

LESERBRIEFE ZUM FALL HARRY WÖRZ

 

 

Leserbrief von Dienstag, den 24.04.2001

Haarsträubende Anwürfe

Gerichtsverfahren gegen Harry Wörz.

In der Berichterstattung der Medien über den Fall Harry Wörz werden Vorwürfe gegen die ermittelnden Kriminalbeamten erhoben, sie hätten einseitig und schlampig ermittelt. Im Interesse einer objektiven Berichterstattung müssen zumindest die offensichtlich falschen Darstellungen und gröbsten Verzerrungen richtig gestellt werden.

Die Ermittlungen wurden deshalb von der Kriminalpolizei Pforzheim geführt, weil sie auf Grund der Aufgabenzuweisung zuständig und keine andere Dienststelle bereit war, die Ermittlungen zu übernehmen. Ermittlungstaktische Fehler und Versäumnisse im Rahmen der ersten Ermittlungen in der Tatnacht wurden in der Verhandlung vor dem Schwurgericht ausführlich erörtert und von der Polizei eingeräumt.

Die Staatsanwaltschaft Pforzheim wurde mit Übernahme der Ermittlungen durch eine Arbeitsgruppe der Kriminalpolizei Pforzheim am Morgen nach der Tatnacht über alle wesentlichen Ermittlungsschritte informiert. Weder Staatsanwaltschaft noch Schwurgericht fanden irgendeinen Anlass, die Ermittlungen der Arbeitsgruppe zu kritisieren. Alle relevanten Beweismittel wurden untersucht, aus Kostengründen wurde keine Untersuchung zurückgestellt. Zwei abgerissene Teile eines Einweg-Handschuhes wurden im unmittelbaren Tatort-Bereich gefunden, die Tatrelevanz wurde nie strittig diskutiert. Außerhalb des eigentlichen Tatort-Bereiches wurden vollständige Fingerlinge, nicht abgerissene Teile, aufgefunden, sie lagen als Vergleichsstücke dem Schwurgricht vor. Sie wurden übereinstimmend von allen Prozessbeteiligten, einschließlich Verteidigung, in der Schwurgerichtsverhandlung als nicht relevant eingestuft und deshalb nicht untersucht.

An den Voraussetzungen dieser Einschätzung hat sich bis heute nichts geändert. Indizien sind keine Beweise, sondern Beweisanzeichen, das heißt jedes einzelne lässt für sich alleine genommen mehrere plausible Interpretationen zu. Der Beweiswert von Indizien eröffnet sich bei differentialdiagnostischer Betrachtung, das heißt einer Wertung in der Gesamtheit. Genauso ging das Schwurgericht mit dem bekannten Ergebnis vor. Der mehrfach geäußerte Verdacht, das Schwurgericht habe mit den Ermittlungsbehörden "gekungelt" oder sich manipulieren lassen, ist in Anbetracht der Persönlichkeit des Vorsitzenden absurd.

Immer wieder werden in den Darstellungen der Medien die Verfahren der Ersten Strafkammer und der Achten Zivilkammer des Landgerichtes Karlsruhe miteinander verglichen, obwohl jeder rechtlich Kundige weiß, dass sich ein Vergleich von Straf- und Zivilverfahren aus grundsätzlichen Erwägungen verbietet. Deshalb ist das Ergebnis der Zivilkammer, Abweisung der Klage gegen Harry Wörz, nach dem Verlauf des Verfahrens folgerichtig und respektabel. Dies gilt leider nicht für die Begleiterscheinungen und die teilweise haarsträubenden Anwürfe gegen die Ermittlungsführung durch die Arbeitsgruppe der Kriminalpolizei Pforzheim.

Dafür gilt, was in Justizkreisen nur hinter vorgehaltener Hand geäußert wird, dass sich auch angesehene und erfahrene Richter in einem für sie fremden Rechtsgebiet auf glattem Parkett bewegen.

Hans Jäger, Bahnhofstraße 24, Pforzheim

 

 

 

Leserbrief von Samstag, den 28.04.2001

Zeit raubende Ermittlungen

Gerichtsverfahren gegen Harry Wörz.

Endlich hat ein sachkundiger Polizeibeamter der Polizeidirektion Pforzheim zum Gerichtsverfahren und zu den Ermittlungen in dem bekannten Verfahren Harry Wörz Stellung bezogen. Damit erfolgte endlich auch die Darstellung und Klarstellung, auf die viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch viele Polizeibeschäftigte lange gewartet haben. Denn jede Sache hat bekanntermaßen zwei Seiten. Ich glaube vielen aus dem Herzen zu sprechen, wenn ich feststelle, dass Herr Jäger mit seiner sachlichen Darstellung dazu beiträgt, die umfangreiche, Zeit raubende und schwierige Ermittlungsarbeit zu verdeutlichen. Meines Erachtens wurde im Hinblick auf die dünne Personaldecke und ständige Überlastung von allen Beteiligten gute Arbeit geleistet.

Udo Hampel, Vorsitzender Gewerkschaft der Polizei, Bahnhofstraße 24, Pforzheim

 

 

 

Leserbrief von Samstag, den 05.05.2001

Peinlich aber wahr

Leserbrief von Hans Jäger: "Haarsträubende Anwürfe" und Leserbrief von Udo Hampel: "Zeitraubende Ermittlungen".

Herr Jäger (Leiter des Morddezernats Pforzheim - daher Bahnhofstraße 24) wirft den Medien eine einseitige Berichterstattung vor. Dies tut er sicherlich aus Unwissenheit, da er nicht wie andere, beide Prozesse im Gerichtsaal mitverfolgt hat. Es wird zwar vielen nicht "schmecken", aber das "Trauerspiel" der Polizei Pforzheim im Gerichtssaal fand wirklich statt. Darüber gibt es genügend Protokolle aus neun Tagen Zivilprozess. Auch ist es sichtlich unwahrscheinlich, dass sämtliche regionale Tageszeitungen, diverse Radiosender, die Fernsehsender RTL und Pro7 einseitig berichten sollen. Viele Reporter verfolgten den Zivilprozess über Monate im Gerichtssaal mit, und trotz langjähriger Berufserfahrung waren sie sprachlos über das, was sie von der Pforzheimer Polizei zu sehen und zu hören bekamen. Viele Anschuldigungen der Presse gegenüber der Polizei findet man sogar im Urteil, das am 6. April gesprochen wurde, wieder. Es kann also keine Rede sein, von "offensichtlich falschen Darstellungen und gröbsten Verzerrungen".

Herr Jäger schreibt, dass keine andere Dienststelle bereit war, die Ermittlungen zu übernehmen. Was heißt hier bereit? Ist es nicht Pflicht, befangene Kollegen abzulösen? Wer entscheidet ob bereit oder nicht? Harry wäre heute sicherlich nicht inhaftiert, wäre man damals "bereit" gewesen! Die Fehler und Versäumnisse der Polizei, kamen im Zivilprozess erst richtig ans Licht, da sich die geladenen Beamten widersprachen und kaum eine Aussage zur anderen passte. So deutlich wurden die Fehler der Polizei im Strafprozess nicht. Sie wurden zwar teilweise angesprochen und auch zugestanden, aber es wurde bei weitem nicht klar, wie "schwachsinnig" manche Vorgehensweisen der Polizei während der damaligen Fahndung doch war. "... aus Kostengründen wurde keine Untersuchung zurückgestellt" schreibt Herr Jäger.

Wie kommt er darauf? Der damals zuständige Ermittlungsleiter selbst hat diese "ökonomische Arbeitsweise" am 6. April im Schwurgerichtssaal des Landgerichtes in Karlsruhe zugegeben und aus eigenen Stücken überhaupt angesprochen, wie man im Gerichtsprotokoll nachlesen kann.

Herr Hampel (Vositzender der Gewerkschaft der Polizei) unterstützt in seinem Leserbrief (erschien vier Tage später) Herr Jägers Meinung und beschreibt ihn als sachkundigen Polizeibeamten. Doch egal wie sachkundig Herr Jäger auch sein mag, so kann er trotzdem nicht über Aussagen urteilen, die er nicht selbst gehört, oder im Protokoll nachgelesen hat. Auch Herr Hampel war unseres Wissens nach zu keiner Zeit im Gerichtssaal und schreibt somit über Dinge, die er nicht wissen kann, oder über die er sich zumindest hätte informieren müssen, bevor er sich dazu äußert. Es hat schon seinen Grund, dass sich lediglich Beamte zum Fall öffentlich äußern, die persönlich nichts damit zu tun haben. Keiner der Beamten, die die peinlichen Szenen im Schwurgerichtssaal miterlebt haben, oder selbst dafür verantwortlich waren, hat sich bisher dazu geäußert. Herr Hampel ist der Meinung, dass "... im Hinblick auf die dünne Personaldecke und ständige Überlastung von allen Beteiligen gute Arbeit geleistet wurde". Wie aber, erklärt man einem mittlerweile 6-jährigen kleinen Jungen, dass er seit vier Jahren ohne seinen Papa aufwachsen muss, da es der Polizei auf Grund von Überlastung nicht möglich war, den wahren Täter zu finden?

Tanja Zipse, Mirka Wedel, Guido Kröger, Kelterstraße 107, Pforzheim